Die Ermordung Kotzebues wurde in den "Mannheimer Tageblättern" vom 25. März 1819 zwar detailliert geschildert, doch ging das Blatt mit keinem Wort auf den politischen Hintergrund der Tat ein (Zeitungstext zum Vergrößern anklicken

Mannheimer Intelligenzblatt - Mannheimer Tageblätter - Mannheimer Tageblatt - Mannheimer Journal

(Mai I1790 - März 1887)

In der Druckerei des Katholischen Bürgerhospitals in E 6,2 neben der Spitalkirche erschien seit 4. Mai 1790 das "Mannheimer Intelligenzblatt". Die Intelligenzblätter hießen so, weil sie reine Anzeigenblätter waren (lat. intellegere = Einsicht nehmen). Sie wandten sich also keineswegs an ein besonders intelligentes Publikum, sondern waren im Gegenteil geistig anspruchslose Druckerzeugnisse.

Es mag verwundern, daß eine karitative Einrichtung sich eine Druckerei und einen Verlag zulegte, um darin eine Zeitung und andere Werke herauszugeben. Die katholischen Institutionen wurden damals aber von dem Jesuitenzögling Karl Theodor in jeder Hinsicht begünstigt. So wie sich in der Person des Kurfürsten allerlei Laster mit Bigotterie paarten, verband die katholische Kirche ihren himmlischen Auftrag mit einem ausgeprägten irdischen Erwerbsstreben. In seiner Studie zur Geschichte der Stadt Mannheim zur Zeit ihres Überganges an Baden erwähnt Karl Hauck "das durch die Stiftung der Rätin Winkopp reich dotierte Bürgerhospital, das sich zum großen Teile aus eigenen Mitteln erhalten konnte, weil es außer den reichen Fonds noch ein ausgedehntes Verlagsrecht besaß". Hauck fährt fort: "In seinem inneren Wesen aber entsprach es der hohen Aufgabe, die es zu erfüllen hatte, so wenig, daß mancher arme Kranke den wöchentlichen Taler, der ihm von der 'katholischen Gesellschaft' bei Krankheitsfällen gespendet wurde und den er bei häuslicher Pflege verzehren konnte, der kalten und meist gefühllosen Hilfe vorzog, die ihn im Hospital erwartete."

Die Konzession zu einer Druckerei war dem Bürgerhospital 1789 verliehen worden, also im Jahr vor dem erstmaligen Erscheinen des "Mannheimer Intelligenzblatts". 1807 ging auch die akademische Druckerei in den Besitz des Bürgerhospitals über. Das Intelligenzblatt erschien zunächst einmal, ab 1792 dann zweimal wöchentlich und hatte bis 1803 das ältere Frag- und Anzeigsblatt verdrängt.  

Das "Mannheimer Intelligenzblatt" - hier die Ausgabe vom 17. Januar 1812 - stellte nicht etwa besondere Anforderungen an die Intelligenz seiner Leser, sondern hieß so, weil es ein reines Anzeigenblatt war (Bild zum Vergrößern anklicken).

Unpolitische Anzeigenblätter blieben von der napoleonischen Verbotswelle des Jahres 181O verschont. Das war der Grund, weshalb das "Mannheimer Intelligenzblatt" als einzige Zeitung am Ort überlebte und sich später mit der Gloriole der ältesten Mannheimer Zeitung schmücken konnte. Genau besehen war diese "Tradition" alles andere als schmeichelhaft. Seine ungebrochene Existenz, die sich über den späteren "General-Anzeiger" und die "Neue Mannheimer Zeitung" bis zum heutigen "Mannheimer Morgen" verfolgen läßt, beruhte auf einer opportunistischen Grundhaltung. Nur deshalb überdauerten das Intelligenzblatt und seine Nachfahren alle politischen Konjunkturen.

Hier die Entwicklungs-Stadien des Intelligenzblatts im engeren Sinne, das vom Katholischen Bürgerhospital gedruckt und verlegt wurde:

Jahr Titel Ausgaben wöchentlich
1790 Mannheimer Intelligenzblatt 1
1792 Mannheimer Intelligenzblatt 2
1819 Mannheimer Tageblätter 3
1825 Mannheimer Tageblätter 6
1836 Mannheimer Tageblatt 6
1837 Mannheimer Journal 6
1887 Zusammenlegung des Mannheimer Journals mit dem nationalliberalen "General-Anzeiger" von Dr. Haas

In Inhalt und Aufmachung glich das "Mannheimer Intelligenzblatt" dem älteren Frag- und Anzeigsblatt. Es enthielt die Mitteilungen geschäftlicher und amtlicher Art, die für das wirtschaftliche und öffentliche Leben Mannheims von Bedeutung waren. Die Aufnahme politischer Nachrichten war den Intelligenzblättern bis 1819 ausdrücklich untersagt. Es gab zwar die Spalte "Innländische Nachrichten", aber deren Gehalt beschränkte sich auf Beweihräucherungen der großherzoglichen Familie, etwa die Geburt eines Thronfolgers und das anschließende Befinden der Landesmutter.

Als Beispiel für die vom "Mannheimer Intelligenzblatt" dargebotenen "Innländischen Nachrichten" kann der Bericht dienen, den das Blatt im Januar 1812 über das "Namensfest Ihrer kaiserl. Hoheit, der durchlauchtigsten Frau Großherzogin" lieferte. Weitschweifig wird geschildert, wie ein Pontifikalamt in der Stadtkirche stattfand, Böllerschüsse abgefeuert wurden, die örtlichen Honoratioren einen Ball veranstalteten und im Gasthaus "zur Sonne" ein Bild der allergütigsten Landesmutter zur Verehrung durch die Untertanen freigegeben wurde:

In dem mit Guirlanden von Epheu ganz einfach aber geschmackvoll verzierten Casinosaal des Gasthauses Sonne sahen wir unter einem Throne, von Blumengewinden umkränzt, das gut getroffene Bild unserer verehrten Großherzogin auf die Beweise unserer Liebe und Verehrung mit jener unbeschreiblichen Anmuth und Güthe herunterblicken, womit sie sich während ihres Aufenthalts in Baden Sich alle Herzen gewann.

Etwas vom Zeitgeist schimmerte in den "literarischen Anzeigen" durch. So inserierte die Buchhandlung Tobias Löffler zu Beginn des Jahres 1814 folgende Lektüre: "Die Glocke der Stunde in 3 Zügen von E. M. Arndt" für I Gulden, "Der Feldzug von 1813 bis zum Waffenstillstand" für 45 Kreuzer, "Die preußisch-russische Kampagne im Jahre 1813" für 40 Kreuzer und "Ernste Worte der Vaterlandsliebe an alle welche Deutsche sind und bleiben wollen" für 15 Kreuzer.

Ein Hauch Politik durchwehte sonst höchstens gelegentlich die amtlichen Bekanntmachungen. So findet sich in einer Nummer des Jahres 1814 die Warnung vor Verbreitung von Flugschriften, aus welchen die "schändliche Absicht" hervorgehe, "die Unterthanen zur Aufwiegelung gegen ihre Souverains zu reizen, und das wechselseitige für das Staatenwohl so nöthige und heilsame Band zwischen beiden durch boshafte Hinstellung eines täuschenden Blendwerks zu schwächen". Solchen "Volksaufwieglern" wurden harte Strafen und Kriegsgerichte in Aussicht gestellt.

Lokale Nachrichten allgemeiner Art wußte das "Mannheimer Intelligenzblatt" nur ausnahmsweise zu vermelden. Das war beispielsweise am 25. März 1819 der Fall, als die Zeitung unter der Überschrift "Tagesneuigkeit" von der Ermordung des Staatsrats August von Kotzebue durch den Studenten Karl Ludwig Sand berichtete. Sie vermied es dabei peinlichst, den politischen Hintergrund der Tat anzudeuten, die sich nur einige Ecken weiter ereignet hatte. Am Zeitdruck lag dies gewiß nicht, denn die "Tagesneuigkeit" war bei ihrer Veröffentlichung bereits zwei Tage alt.

Ab Januar 1819 nahm das Intelligenzblatt den Titel "Mannheimer Tageblätter" an und erschien, bei unveränderten Preisen, fortan dreimal wöchentlich. Es brachte jetzt mehr allgemeine Artikel über Theater, Kunst, Literatur und zur bloßen Unterhaltung. Am 17. August 1819 tauchte zum erstenmal die Rubrik "Politische Nachrichten" auf. Die Redaktion schuldete den Lesern dafür eine Erklärung und gab sie gleich mit der ersten politischen Nachricht: "Das am 11ten d. M. erschienene großherzogliche Staats- und Regierungsblatt enthält die höchste bundesherrliche Verordnung, daß den Localblättern, mit Ausnahme der Kreis-Anzeigeblätter, erlaubt ist, politische Artikel aus den im Inlande erscheinenden Zeitungen aufzunehmen."

Die Zulassung politischer Nachrichten in den Intelligenzblättern war eine Konsequenz der badischen Verfassung vom 22. August 1818. Die Verfassung änderte im Prinzip wohl nichts an der Allmacht des Großherzogs, institutionalisierte jedoch mit der Einrichtung der zweiten Kammer die politische Bewegung des Bürgertums. Es gab nunmehr einen legalen politischen Raum, der sich nicht bloß auf die öffentliche Anteilnahme an der Geburt von Thronfolgern und den Namenstagen der großherzoglichen Familienmitglieder beschränkte. Der Zusammentritt der badischen Ständeversammlung 1819 veranlaßte die "Mannheimer Tageblätter" denn auch, in den Monaten April bis August 32 "Extra-Blätter" herauszubringen, in denen sehr detailliert über Personen, Reden, Beschlüsse und Etat-Zahlen berichtet wurde. Ansonsten war die politische Berichterstattung jedoch noch immer sehr dürftig und zusammenhanglos.

Ab Januar 1825 erschienen die "Mannheimer Tageblätter" sechsmal wöchentlich. Neben Gedichten trug jetzt auch der Fortsetzungsroman zur Unterhaltung bei. Eine andere Serie versprach die "Chronologische und synchronistische Darstellung der merkwürdigsten Weltbegebenheiten von Christi Geburt bis auf unsere Zeiten". Man merkte das Bestreben, die Leser bei der Stange zu halten und das Blatt etwas anziehender zu gestalten. Dazu bestand auch Grund, denn der Bezugspreis hatte sich - bei neu eingeführtem Halbjahresabonnement - praktisch verdoppelt. Außerdem war inzwischen mit der "Mannheimer Zeitung" wieder ein Konkurrenzblatt auf der lokalen Szene erschienen.

 


Titel der ersten Ausgabe des "Mannheimer Journal" vom 1. Juli 1837

In den vierziger Jahren machte dem Blatt, das sich seit 1837 "Mannheimer Journal" nannte, der große Erfolg der liberalen "Mannheimer Abendzeitung" arg zu schaffen, zumal ihm das "Mannheimer Morgenblatt" auch noch die reaktionären Leser wegnahm. Besorgt verfolgte der Vorstand des Katholischen Bürgerhospitals die sinkende Auflage. 1845 beschloß er, lieber mit dem Zeitgeist zu paktieren als das Blatt untergehen zu lassen. Der langjährige Redakteur Rudolph Schlicht bekam den Laufpaß: Im Juni 1845 legte er "nach dem Willen des wohllöblichen Vorstandes des Katholischen Bürgerhospitals" sein Amt nieder. Neuer Redakteur wurde Gustav Struve, ein prominenter Vertreter der liberalen Bewegung in Mannheim und Baden.

Unter der Leitung von Gustav Struve gewann das "Mannheimer Journal" tatsächlich zahlreiche neue Leser. Unter ihnen befand sich allerdings auch der Zensor, der dem Blatt bis dahin keine sonderliche Beachtung zu schenken brauchte. Die Stadtchronisten Feder und Walter sind übereinstimmend der Meinung, daß Struve erst durch die maßlosen Schikanen des damaligen Zensors von Uria-Sarachaga ins Lager der entschiedenen Revolutionäre getrieben worden sei. Denkbar wäre es. Uria-Sarachaga verstümmelte Struves Manuskripte in der willkürlichsten Weise. Wenn Struve hinterher Beschwerde einlegte und die Kreisregierung zahlreiche Stellen doch wieder freigab, waren die Artikel mittlerweile veraltet. Als Struve darauf die Amtsenthebung des Zensors und die generelle Abschaffung der Zensur verlangte, antworteten Uria-Sarachaga und die Kreisregierung mit Geldstrafen und Konfiskationen. Struve revanchierte sich mit drei "Rekursschriften an das Publikum", in denen die von der Zensur gestrichenen Stellen in rotem Druck wiedergegeben waren (Schriften über 20 Bogen unterlagen nach dem Bundesgesetz nicht der Zensur).

Im August 1845 forderte die Kreisregierung den Vorstand des Katholischen Bürgerhospitals unverblümt auf, Struve zu entlassen oder den Kurs des Blattes auf andere Weise zu ändern. Der Vorstand, im Konflikt zwischen Loyalität und Geschäft, entschied sich fürs Geschäft. Darauf ernannte die Kreisregierung das reaktionäre Morgenblatt anstelle des Journals zum Amts- und Kreisverkündiger. Auch beim erzbischöflichen Ordinariat und in der ersten Kammer mißfiel der freisinnige Kurs des Journals. Als sich die Konflikte immer mehr häuften und die Zensur die Daumenschrauben immer fester anzog, legte Struve am 1O. Dezember 1846 die Redaktion des Journals nieder. In den Konstanzer "Seeblättern" beklagte er anschließend das Los des Journalisten, der nicht nur von der Zensur, sondern auch vom Eigentümer des Blattes abhängig ist:

Die Schwierigkeiten seiner Lage vermehren sich aber noch, wenn er nicht Eigenthümer des von ihm redigierten Blattes ist. Der Verleger sucht nämlich in diesem Falle immer auch seinen Ansichten und Bestrebungen Geltung zu verschaffen, wodurch nicht selten der Redakteur in die unangenehme Alternative versetzt wird, entweder mit dem Verleger, oder mit seinen eigenen Grundsätzen oder endlich gar mit dem Publikum brechen zu müssen.

In die Bresche, die durch Struves Rücktritt beim Journal entstand, sprang vorübergehend Karl Mathy. Aus dem ehemaligen Mitarbeiter des "Wächters am Rhein" war inzwischen ein bläßlicher Liberaler großbürgerlichen Zuschnitts geworden. Der neue Redakteur Obermüller steuerte das Journal dann endgültig ins gemäßigte Fahrwasser zurück. Nach dem Wunsch des Vorstands sollte er eine freisinnige, aber konstitutionelle Richtung verfolgen. Mit solchen Halbheiten war der neugewonnene Leserstamm indessen nicht zu halten. Schon nach wenigen Monaten mußte der Vorstand erheblichen Auflagenschwund feststellen und warf Obermüller vor, er habe zum Schaden des Blattes rückschrittliche Bahnen eingeschlagen...

Bis zum Mai-Aufstand des Jahres 1849 vertrat das "Mannheimer Journal" eine gemäßigt-liberale Richtung. Bei den Demokraten galt es immer als unsicherer Kantonist. Sie fühlten sich in dieser Einschätzung bestätigt, als das Journal im Mai 1849 eine Proklamation des flüchtigen Großherzogs abdruckte. Die Abendzeitung fragte sogleich nach dem Preis des Abdrucks und unterstellte, die Redaktion habe sich korrumpieren lassen. Das Journal mimte den Ehrenmann: "Wir haben gegen eine solche Gemeinheit nur das Schweigen der Verachtung."

Als sich die Niederlage der Revolutionsarmee abzeichnete, packte das Journal endgültig sein geistiges Köfferchen und bereitete den Übergang zur Reaktion vor. "Die Gesinnungsgenossen des Journals wurden kopfscheu, je deutlicher hinter der angeblichen Wahrung der Reichsverfassung als letztes und eigentliches Ziel die rote Republik zum Vorschein kam", schreibt Friedrich Walter in seiner Stadtchronik. Freilich war die Angst vor der "roten Republik" mehr Vorwand als Anlaß. Die Mannheimer Bourgeoisie und mit ihr das Journal hatten einfach in den Preußen die stärkeren Bataillone erkannt. Am 23. Juni - Mannheim war schon besetzt, aber der weitere Ausgang noch im ungewissen - erschien das Journal ohne jeden politischen Text. In demokratischen Kreisen wurde gespottet, der Schreiber sei wohl zur Abendzeitung abkommandiert worden, um dort für den richtigen Ton zu sorgen. Am Tag darauf stellte sich das Journal völlig auf die Seite der Konterrevolution und beschimpfte in der rüdesten Weise die revolutionäre Partei, besonders den General Mieroslawski und den Zivilkommissar Trützschler:

Wir erwachen immer mehr wie aus einem Rausche oder wie aus einem bösen Fiebertraum; einer sieht den anderen verwundert an und fragt ihn, was denn eigentlich geschehen, und wie es so geschehen konnte. Man fängt an zu begreifen, daß der seit vorgestern erfolgte Umschlag der öffentlichen Stimmung die einzige, innerlich und wahrhaft gerechtfertigte Revolution gewesen ist, die je in Mannheims Mauern gemacht wurde, daß alles, was die anarchische Partei seither für Revolution ausgab, nur eine Treibhauspflanze war, großgezogen an der Wärme einer erlogenen Begeisterung, aufgewachsen in dem Mistbeete unreiner Leidenschaften, aber keine Revolution, deren Folgen heilsam, weil ihre Ursachen gerechtfertigt und ihre Motive im Bewußtsein des Volkes begründet waren.

Die Abendzeitung ließ es sich nicht nehmen, die Schmähungen des bourgeoisen Blattes in ihrer letzten Ausgabe nachzudrucken und auf den gar nicht so unerwarteten Gesinnungswandel hinzuweisen.