Der Kampf mit der Zensur

Hier zunächst eine Übersicht der Mannheimer Zensoren von 1840 bis zur Aufhebung der Zensur am 1. März 1848 (in Halbjahresabschnitten). Den jeweils amtierenden Zensoren gegenübergestellt sind Mannheimer Abendzeitung, Mannheimer Journal und Deutscher Zuschauer mit den jeweils verantwortlichen Redakteuren.

Jahr Zensor Abendzeitung Journal Zuschauer
1840 Riegel Grün Schlicht
1840 Riegel Grün Schlicht
1841 Riegel Grün Schlicht
1841 Riegel Grün Schlicht
1842 Riegel Grün Schlicht
1842 Riegel Bernays Schlicht
1843 Riegel Bernays Schlicht
1843 Fuchs Bernays Schlicht
1844 Fuchs Grohe Schlicht
1844 Fuchs Grohe Schlicht
1845 Uria-Sarachaga Grohe Schlicht
1845 Uria-Sarachaga Grohe Struve
1846 Lamey Grohe Struve
1846 Lamey Grohe Struve
1847 Mallebrein Grohe Mathy Struve
1847 Kern Grohe Obermüller Struve
1848 Kern Grohe Obermüller Struve

Der Kampf mit der Zensur, die nur 1832 für kurze Zeit entfiel, verbitterte das Leben aller vormärzlichen Zeitungen in Mannheim (mit Ausnahme des "Wächters am Rhein", der dafür nachträglich zu büßen hatte). Im Grunde ist er so alt wie die Buchdruckerkunst und reicht in Mannheim bis in die Zeit der Stadtgründung zurück: Schon I638 wurde von Heilbronn aus ein "Lasterschaftskalender" verbreitet, nach dem die kurfürstliche Regierung fahnden ließ. Die Quartiermeister mußten von Haus zu Haus gehen und etwa vorhandene Exemplare beschlagnahmen. I760 wurde die pfälzische Regierung von dem sächsisch-polnischen Gesandten in Kenntnis gesetzt, daß die Knochsche Hofbuchhandlung eine skandalöse Schrift voller Beleidigungen des Königs und seiner Ahnen verbreite. Die Regierung drohte darauf der Buchhandlung sowie dem Verleger des Frag- und Anzeigsblatts mit dem Verlust der Konzession, wenn sie nicht willens oder in der Lage seien, die Urheber der Schmähschrift und deren Herstellungsort anzugeben,

Das tägliche Ringen des Redakteurs mit der Zensur ist jedoch erst eine vormärzliche Erscheinung und mit der Entstehung der bürgerlichen Presse verknüpft, die nicht mehr dem Privilegierungszwang unterlag. Die alten feudalen Machthaber befanden sich insoweit in einer ungünstigeren Position, als ihre Zensurmaßnahmen rein defensiv waren, während das aufstrebende Bürgertum als Besitzer der drucktechnischen Produktionsmittel die ideologische Offensive führte. Der Kampf wurde letztendlich auf einem Terrain geführt, auf dem das Bürgertum zu Hause war. Daher blieben auch alle Versuche, eine reaktionäre Presse aufzubauen - siehe die neue "Mannheimer Zeitung", das "Mannheimer Morgenblatt" oder "Der Bürgerfreund" - ohne durchschlagenden Erfolg.

Die Aufsässigkeit der bürgerlichen Blätter war Ausdruck einer prinzipiellen Opposition gegenüber dem herrschenden, hemmenden Feudalstaat. Die drückende Last der alten Verhältnisse überdeckte zunächst auch die latente Spaltung zwischen Klein- und Großbürgertum, die dann in der Revolution von 1848/49 offen zutage trat und die wichtigste Ursache für deren Scheitern war. Zum Beispiel waren es Bankiers und sonstige reiche Bürger, welche die "Rheinischen Zeitung" als liberales Kampfblatt gegen die preußische Obrigkeit finanzierten und 1842 den radikalen Demokraten Karl Marx zu deren Chefredakteur machten.

In Baden lagen die Verhältnisse noch etwas anders als in Preußen, denn hier war das GroBbürgertum schwach entwickelt und gab das Kleinbürgertum den zunehmend radikaleren Ton an. Die Creme der Bourgeoisie, die großen Bankiers und Industriellen, fehlte in Baden völlig. Als "Bourgeoisie" bezeichnete man im vormärzlichen Baden den besitzbürgerlichen Mittelstand vom Schlage Bassermanns.

Die badische Presse - allen voran die Mannheimer - galt als die radikalste in ganz Deutschland. Das Kleinbürgertum war damals auch noch in der Lage, den ökonomischen Rahmen der Presse auszufüllen: Die Druckereien waren mehr oder weniger große Handwerksbetriebe. Die Redaktion bestand im allgemeinen aus einem Mann, der nicht selten zugleich der Verleger oder gar auch der Drucker war. Der Umfang der Zeitungen beschränkte sich in der Regel auf vier Seiten, und die Auflagen waren so bescheiden, daß sie sich in den meisten Fällen wie zu Gutenbergs Zeiten mit der Handpresse abziehen ließen. Die Schnellpresse rentierte sich erst bei vierstelligen Auflagenziffern.

Der Buchhändler Heinrich Hoff ist ein gutes Beispiel für die vormärzliche Personalunion von Redakteur, Verleger und Drucker, auch wenn er nicht immer alle drei Funktionen gleichzeitig ausübte. Mit Hoffs Namen sind etliche Mannheimer Oppositionsblätter verbunden: Die Tendenzblätter "Stadt- und Landbote" und "Rheinischer Postillon" in den dreißigern sowie die demokratischen Kampfblätter "Deutscher Zuschauer" und "Deutsche Volks-Zeitung" in den vierziger Jahren. Beim fünften Blatt, das keinesfalls vergessen werden darf, der "Mannheimer Abendzeitung", nahm Jean Pierre Grohe als Redakteur und Verleger eine überragende Stellung ein.

Die Pressefreiheit war damals noch nicht - wie Paul Sethe einmal für bundesdeutsche Verhältnisse formulierte - die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Sie war noch kein Privileg des Großkapitals, sondern bot demokratische Chancen. Daran muß erinnert werden, wenn sich heute milliardenschwere Medien-Mogule als Erben und Gralshüter jener "Pressefreiheit" aufspielen möchten, die einst von anderen sozialen Schichten und unter ganz anderen Vorzeichen erkämpft wurde.

Der erste Dauer-Konflikt mit der Obrigkeit zeichnete sich Anfang des 19. Jahrhunderts ab, als das "Journal politique" und die "Rheinische Bundes-Zeitung" dezent aber beharrlich gegen den Stachel der napoleonischen Herrschaft löckten. Die Franzosen lösten dieses Problem allerdings nicht durch Zensur, sondern durch diplomatische Demarchen und das schlagartige Verbot sämtlicher nicht-regierungsamtlicher Zeitungen in den deutschen Vasallen-Staaten.

Der institutionalisierte Konflikt mit der Zensur begann erst nach der Beseitigung der napoleonischen Herrschaft: Im Herbst 1819 wurden die Karlsbader Beschlüsse, zu denen die Ermordung Kotzebues in Mannheim den Anlaß geboten hatte, auch in Baden vollzogen. Das durch landesherrliche Verordnung am 5. November 1819 erlassene badische Zensurgesetz schloß sich fast wörtlich dem preußischen an. Alle im Lande erscheinenden Zeitungen, Zeitschriften, Flugschriften, Broschüren usw. unterlagen der kreisbehördlichen Zensur. Die Reden in Kirchen und Schulen, bei religiösen Feierlichkeiten, Gemeinde- und anderen öffentlichen Versammlungen wurden ebenfalls unter polizeiliche Überwachung gestellt. Die Beamten wurden ermahnt, dem "verderblichen Unwesen" entgegenzuarbeiten und überall Achtung für Religion, Gesetz und gute Sitten einzuprägen. Die Pressefreiheit sei in Zügellosigkeit ausgeartet, behauptete der entsprechende Erlaß. Manche Zeitungen gefielen sich darin, "die deutsche Staatsverfassung, sowie die der einzelnen deutschen Staaten insbesondere anzugreifen, sie bei dem Volke herunterzusetzen und sie als verderblich hinzustellen, obrigkeitliche Personen wahrheitswidrig auf eine unverschämte Weise zu verunglimpfen, ihnen so das nötige Ansehen und Vertrauen zu entziehen, sich unter dem Vorwand eines herrschenden Zeitgeistes über Sittlichkeit und Ordnung, Recht und Eigentum, über Verträge und Herkommen und über alles, was den Völkern von jeher heilig war, hinwegzusetzen und so mit jener Rede- und Handlungsfreiheit Mißbrauch zu treiben".

Man muß sich dabei ins Gedächtnis rufen, daß im Gefolge der Befreiungskriege gegen Napoleon eine erste Welle des Nationalgefühls durch die deutschen Lande gegangen war. Der Nationalismus negierte das Legitimitätsprinzip des fürstlichen Territorialstaats. Noch bewußter trat die Ideologie des aufstrebenden Bürgertums im Liberalismus zutage, der sich mit den nationalen Einheitsbestrebungen verband. Nicht ohne Grund bekämpfte der Statthalter des alten Systems, Fürst Metternich, alle nationalen und liberalen Tendenzen auf das schärfste. Wenn aus dieser Zeit in Mannheim trotzdem keine größeren Auseinandersetzungen mit der Zensur aktenkundig geworden sind, lag dies wohl einfach am Nicht-Vorhandensein einer bürgerlichen Fundamentalopposition. Zumindest artikulierte sich diese Opposition nicht politisch, sondern flüchtete ins Reich des Schöngeistigen, wie sich am Beispiel der "Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser" studieren läßt. Bei der "Mannheimer Zeitung" war der Redakteur sogar identisch mit dem Zensor.

De tägliche Kleinkrieg mit der Zensur begann erst in den dreißiger Jahren. Die größten Meriten erwarb sich hierbei der Verleger Heinrich Hoff. Sein Gegenspieler war der Stadtamtsdirektor Riegel, der seit der Verschärfung des Pressegesetzes 1832 zugleich das Amt des Zensors wahrnahm. Es war ein undankbares Geschäft: Zensierte Riegel scharf, konnte es geschehen, daß die Regierung die beanstandeten Artikel auf Beschwerde hin wieder freigab und sich in der zweiten Kammer mit ungeschickter Handhabung der Zensur entschuldigte. Was er nicht beanstandete, trug vielleicht eine verborgene Spitze oder verletzte ausländische Regierungen. Was heute noch bedenklich erschien, war vielleicht in wenigen Wochen als allgemeine Wahrheit anerkannt, die jedermann straflos verkündete.

Riegel war übrigens Freimaurer. Der Zensor war also selber vom liberalen Zeitgeist ergriffen und damit eine tragische Figur: Auf der einen Seite lief er Gefahr, der Ächtung durch die bürgerlichen Standesgenossen anheimzufallen. Auf der anderen Seite beklagte sich Riegel bitter darüber, von der Obrigkeit im Stich gelassen zu werden:

Es gehört ein großes patriotisches Gefühl dazu, alle die einem Zensor zugefügten Unbilden zu ertragen; ruhig hinzunehmen, wenn er in der Kammer ein borniertes, verstandesloses Geschöpf genannt wird und sich auch nicht eine Stimme zu seinem Schutz erhebt, oder wenn man ihm das Prädikat eines moralischen Henkers beilegt usw.

Im Juni 1843 durfte Riegel sein Amt endlich an den Stadtamtsassessor Fuchs abgeben. Fuchs war von Anfang an zu rücksichtslosem Vorgehen angehalten. Dennoch erhielt er schon im August eine Rüge des Ministeriums. Er hatte einige "aufregende und verletzende Stellen" in den Reden und Gedichter übersehen, die in der Abendzeitung aus Anlaß der Verfassungsfeier erschienen. Auch Preußen und Bayern fühlten sich ständig auf die Füße getreten. Preußen drohte, beim Bundestag gegen die Abendzeitung vorzugehen. Fuchs erhielt im März 1844 erneut einen scharfen Verweis. Man wolle sich nicht wegen der Abendzeitung mit der preußischen Regierung verfeinden, erklärte das Ministerium. Der Zensor solle gefälligst darauf achten, "daß die schlechte Presse, die in den innern Angelegenheiten schon genug des Unangenehmen bereite, nicht auch noch Kollisionen mit auswärtigen Staaten herbeiführe".

Was der Zensor Fuchs dem Redakteur Bernays mit roter Tinte antat, zahlte ihm dieser auf andere Weise wieder heim. Durch seinen Vetter und Mitarbeiter der Abendzeitung, Ferdinand Cölestin Bernays, ließ er 1843 in Straßburg unter dem Schutz der französischen Pressefreiheit eine leidenschaftliche Anklage gegen die Zensur veröffentlichen: "Schandgeschichten zur Charakteristik des deutschen Zensoren- und Redaktorenpacks. Zensor Fuchs aus Mannheim und die Führer der servilen Presse." In dieser Schrift waren säuberlich alle jene Stellen vermerkt, die Fuchs der Abendzeitung gestrichen hatte. Zugleich wurden die servilen Blätter und Redakteure an den Pranger gestellt, die das Volk hinters Licht führten, anstatt es aufzuklären.

Hier eine Kostprobe aus Bernays Schmähschrift:

Gibt es doch kein demütigenderes Gefühl, als wenn man eine ganze Nacht hindurch gearbeitet hat, treu und ernsthaft für das heißgeliebte Vaterland - und des anderen Tages bringt der Druckerjunge den Zensurbogen zurück, und mit einem Striche hat der Zensor die Arbeit einer ganzen Nacht von dem Erdboden weggetilgt, und was stehen bleibt, verdorben und durch Weglassungen und Einschaltungen verketzert und verpestet... Sprich, Zensor Fuchs, bist du nicht schlechter als der schlechteste, der du das alles tatst und noch tausendmal mehr, da du es ohne Opfer lassen konntest; sprich selber und greif in deine Bubenbrust: Ist es nicht besser, betteln gehn - als Zensor sein?

1846 übernahm das Amt des Zensors der Stadtamtsassessor August Lamey, der Sohn des Redakteurs der großherzoglichen Staatszeitung und Enkel des Begründers der "Mannheimer Zeitung". August Lamey bemühte sich, den leidigen Posten möglichst schnell wieder loszuwerden, und ging schon Ende des Jahres als Assessor ans Hofgericht. Er sollte später noch als Staatsminister und Begründer eines nationalliberalen Blattes von sich hören lassen.

Lameys Nachfolger, Amtmann Mallebrein, fühlte sich in der Rolle des Zensors ebenfalls nicht wohl. Als sich im August 1847 wieder mal die auswärtigen Mächte beim Bundestag über die Mannheimer Presse beschwerten, bekam er die Prügel dafür. Mallebrein war froh, als er die Zensur an den Vorsteher des Stadtamtes abgeben durfte. Dies war der Stadtdirektor Kern aus Freiburg, Nachfolger des auf eigenen Wunsch im August 1847 versetzten Stadtdirektors Riegel. Kern bekleidete das Amt des Zensor bis zur Aufhebung der Zensur am 1. März 1848.