Die ersten Ausgaben des "Mannheimer Tagblatts" erschienen unter "völliger Weglassung der Politik" (zum Vergrößern anklicken).


Mannheimer Tag(e)blatt

(1867 - 1939)

Nach Demokraten und Nationalliberalen kam 1867 auch das unpolitische Bürgertum zu seiner Leib- und Magenlektüre. Es fand sie im Mannheimer Tagblatt, später auch Tageblatt geschrieben, das der Buchdrucker Max Hahn seit 8. Oktober sechsmal wöchentlich herausgab.

Das Mannheimer Tagblatt benutzte nicht nur einen früheren Titel des Mannheimer Journals, es war auch von derselben politischen Farblosigkeit. Allerdings verstand es Hahn, die Farblosigkeit zum Programm zu machen. Der Sohn eines Polizeidieners und Mitglied des katholischen Gesellenvereins machte es sich zur Aufgabe, das verbreitete Bedürfnis nach Unterhaltung, nach betont harmlosem Lesestoff, nach erbaulichem Trost und heiterer Idylle zu befriedigen. Er schuf das Blatt für den Kleinbürger, der von der Politik wohlweislich die Finger läßt, nachdem er gesehen hat, wie es anderen dabei ergangen ist.

Das Tagblatt war Hahns vierter Wurf. Schon 1864 hatte er das kleinformatige "Mannheimer Abendblatt" herausgebracht, das nach zwei Monaten die doppelte Größe und den Titel "Badische Presse" annahm. Dieses Unternehmen entpuppte sich bald als Fehlschlag. Hahn war ein Neuling auf dem Gebiet des Zeitungswesens und mußte erst mal Lehrgeld bezahlen. Ihm scheint auch nicht bekannt gewesen zu sein, daß er mit dem Titel "Mannheimer Abendblatt" an die Anfänge der "Mannheimer Abendzeitung" anknüpfte, des Kampfblatts der Demokratie.

Drei Jahre danach versuchte es Hahn mit dem "Rheinischen Telegraph", einer dreimal wöchentlich erscheinenden Postille für die Leser "an Rhein, Neckar, Main, Tauber, Schwarzwald, Odenwald und Haardt". Das Blatt nannte sich "Organ für Politik, Handel, Industrie und Verkehr" und empfahl sich allen Lesern, die "ein einiges, mächtiges und großes, auf liberalen Grundsätzen ruhendes, deutsches Vaterland" wünschten.

Schon nach sieben Monaten gewann Hahn den Eindruck, daß es wohl doch besser sei, die Politik ganz wegzulassen. Der "Rheinische Telegraph" erschien nur vom 15. August bis zum 5. Oktober 1867. Danach nahm er - "unter Weglassung der Politik" - den Titel "Mannheimer Tagblatt" an und erschien sechsmal wöchentlich. Hahn hatte inzwischen den Lesergeschmack erkundet. Auf das Reizwort "liberal" glaubte er verzichten zu können. Das neue Tagblatt wollte stattdessen "alles, was sich außerhalb des Gebiets der Politik bewegt, in den Kreis seiner Besprechung ziehen".

Zu Beginn des folgenden Jahres bosselte Hahn nochmals am Kurs seiner Zeitung herum. Er hatte sich doch etwas vergaloppiert, als er die totale Weglassung der Politik ankündigte. Laut neuem Redaktionsprogramm brachte das Tagblatt nun "in volkstümlicher Weise die interessantesten politischen Nachrichten nach dem Grundsatz: 'Recht geht vor Gewalt'. Ferner wird es sich bestreben, den lokalen Verhältnissen Mannheims in jeder Richtung zum Besseren und zum Wohle der Gesamtheit zu dienen. Außerdem wird es durch gediegene Erzählungen, Anekdoten, Rätsel, Gedichte usw. zur Unterhaltung seiner Abnehmer in nicht zu unterschätzender Weise beitragen".

Endlich hatte Hahn die richtige Machart gefunden: Für das Gute, Wahre und Schöne! Sie blieb für das Tageblatt über siebzig Jahre verpflichtend. Die unpolitische Haltung wurde 1888 durch Beilegung des Untertitels "Badischer General-Anzeiger" betont. Noch im 20. Jahrhundert erblickte das Tageblatt seinen Stolz darin, eine "vielgelesene und auf anerkannter literarischer Höhe stehende Familienzeitung" zu sein.

Während alle anderen Mannheimer Tageszeitungen Parteiblätter waren bzw. bestimmten Parteien sehr nahe standen, hielt sich das Tageblatt viel darauf zugute, "die einzige unparteiische Tageszeitung" zu sein. In Wirklichkeit vertrat natürlich auch das Tageblatt eine politische Richtung, nämlich die Partei des Bestehenden im weitesten Sinne, des bürgerlichen Mittelmaßes. Das schloß nicht aus, sondern bedingte sogar, daß es unter rein journalistischen Gesichtspunkten eine ganz gute Leistung war.

Auch auf Werbung verstand sich das Tageblatt ganz gut. Die Teuerung des Kriegsjahres 1870 nutzte Hahn, um "Gemeinsinn" zu demonstrieren. Er kaufte große Mengen Kartoffeln in der Umgebung und gab sie auf dem Marktplatz zum Selbstkostenpreis ab. Genauso verfuhr er wenig später bei einer Kohlenteuerung. Im Grunde wandte er damit schon dieselben Methoden der Sympathiewerbung an, wie sie heute bei der Geschäftspresse gang und gäbe sind.

Im Fastnachtszug 1914 glänzte das Tageblatt mit einem eigenen Wagen: Neben einer riesigen Suppenschüssel voller Zeitungen - "Die Speisung der Hunderttausend" betitelt - schritten zahlreiche Trägerinnen, die aus ihren Umhängetaschen gratis Tageblatt-Exemplare an die Zuschauer verteilten. Der Werbe-Gag soll damals 1700 neue Abonnenten eingebracht haben.

Im Jahre 1874 traten die Gebrüder August und Adolf Gengenbach in den Betrieb mit ein, der in eine offene Handelsgesellschaft unter der Bezeichnung Buchdruckerei Max Hahn & Co umgewandelt wurde. Hahn spezialisierte sich fortan auf die Technik, während sich seine neuen Kompagnons um die kaufmännische Seite kümmerten. 1892 erhielt der Betrieb das Prädikat "Hofbuchdruckerei" verliehen. Im gleichen Jahr wurde die alte Doppelschnellpresse durch eine Rotation ersetzt: Mit dieser Umstellung erlangte das Tageblatt das größte Format aller Mannheimer Zeitungen (345 x 550 mm) und im Volksmund die Bezeichnung "Kuhhaut".

Fünfzig Jahre lang erschien das Tageblatt in dem Gebäude H 2, 2, das einst für 17600 Gulden erworben worden war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde eine Betriebsvergrößerung unumgänglich. Die Eigentümer kauften das Nachbargrundstück H 2, 3 hinzu und ließen darauf ein neues viergeschossiges Verlagshaus errichten, das 1913 bezogen wurde. Infolge des ersten Weltkriegs und der Inflation zahlten sich die Investitionen jedoch nicht aus. Die Zeitung geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und mußte 1923 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Die Mehrheit der Aktien übernahm das Ludwigshafener Verlagshaus Waldkirch, das in der Schwesterstadt den "Lokal-Anzeiger" und die "Pfälzische Rundschau" herausgab. In den Rest teilten sich die Erben der Gründer, Adolf und Viktor Gengenbach und Eduard Hahn.

Das Mannheimer Tageblatt verfügte über eine sehr gut ausgerüstete Technik. Die Kapazität der Rotationsmaschine umfaßte zuletzt 64 Seiten, so daß bei normalem Umfang - 16 Seiten - in vierfacher Produktion gedruckt werden konnte. Außerdem war eine Offset-Rotation vorhanden.

Hier einige Auflagenziffern des Mannheimer Tageblatts:

Jahr Auflage Ausgaben i.d. Woche
1876 8 300 6
1912 19 800 7
1931 24 000 7
1934 16 800 6

Noch 1916 kam das Blatt mit zwei Redakteuren aus. Zu Anfang der dreißiger Jahre waren es fünf, darunter der Verlagsdirektor Adolf Gengenbach als Chefredakteur und Dr. Helmut Cron, der spätere langjährige Vorsitzende des "Deutschen Journalisten-Verbandes" als verantwortlicher Redakteur für Politik, wie aus dem "Handbuch der deutschen Tagespresse 1932" hervorgeht:

Verlagsdirektor Adolf Gengenbach
Direktoren Victor Gengenbach und Eduard Hahn
Umfang 11 Seiten, davon 3 1/2 Seiten redaktionell
Verbreitung Familienblatt Mittelstand
Chefredakteur Adolf Gengenbach
Politik, Handel Dr. Helmut Cron
Feuilleton Helmut Schlien
Lokales, Provinz K. M. Hageneiner
Musik, Kunst Dr. Fritz Baas

Die nationalsozialistische Machtergreifung überlebte das Mannheimer Tageblatt ohne unmittelbare Gefährdung seiner Existenz. Der Anzeigen-Sog, der vom "Hakenkreuzbanner" ausging, zehrte jedoch am Lebensnerv des Blattes. Das Geschäftsjahr 1933/34 schloß mit einem Verlust von 63307 Mark ab. Das Anlagevermögen wurde zur gleichen Zeit auf 453376 Mark beziffert. Es ist nicht genau bekannt, wann und in welcher Form die Zeitung in den Besitz der NSDAP überging, aber bei ihrer Zusammenlegung mit dem "Neuen Mannheimer Volksblatt" zum "Mannheimer Neuen Tageblatt" am 16. Oktober 1937 dürfte sie sich bereits in den Händen des Amman-Konzerns befunden haben. In einer weiteren Etappe der nationalsozialistischen Pressekonzentration wurde das "Mannheimer Neue Tageblatt" 1939 mit der "Neuen Mannheimer Zeitung" verschmolzen, bei der auch der frühere Chefredakteur Adolf Gengenbach sein Gnadenbrot als Korrektor fand.