Verschiedene Titel des "General-Anzeiger" aus den Jahren 1885, 1890 und 1909.

Für Kapital und Obrigkeit

Wie die Geschäfte des Dr. Haas im Aufwind der Rechtsentwicklung florierten

Nach dem Pakt mit den Nationalliberalen entwickelte sich der "General-Anzeiger" zum Kampfblatt von Kapital und Obrigkeit gegen alles, was nach demokratischen Bestrebungen oder gar nach sozialer Veränderung roch. Wie schon erwähnt, hatten die bürgerlichen Demokraten Mitte der achtziger Jahre auch bei den Kommunalwahlen die Mehrheit der bürgerlichen Wähler an die Nationalliberalen verloren. Seitdem verfolgten sie den Plan, mit Hilfe der verbotenen Sozialdemokratie und der katholischen Zentrumspartei ihre traditionelle Stellung als stärkste Partei wiederzuerringen. Die Nationalliberalen paktierten ihrerseits offen mit der konservativen Partei. Die zweite Hälfte der achtziger Jahre war damit in Mannheim wie im gesamten Großherzogtum Baden von einem scharfen Kampf zwischen dem konservativ-nationalliberalen Lager einerseits und der Allianz aus bürgerlichen Demokraten, Sozialdemokraten und Zentrumspartei andererseits gekennzeichnet.

Vor allem das Bündnis der bürgerlichen Demokraten mit den "vaterlandslosen Gesellen" der verbotenen Sozialdemokratie stellte in den Augen der herrschenden Kreise, von der großherzoglichen Polizei bis zu den Nationalliberalen, eine unerhörte Mesalliance dar und wurde entsprechend geahndet. So wurde dem Verleger der demokratischen "Neuen Badischen Landes-Zeitung", Sigmund Bensheimer, eine Wahlrede verboten. Der Redakteur Vincenz Becker erhielt aufgrund eines Artikels sogar zwei Monate Gefängnis, wobei das Gericht dem Blatt bescheinigte, daß es "an der Grenze der Umsturzparteien" stehe. (20)

Dem Dr. Haas und seinem "General-Anzeiger" konnte so etwas nicht widerfahren. Sein Geschäft gedieh um so besser, je mehr die ganze Entwicklung im bürgerlichen Lager nach rechts drängte, zum Kniefall des Bürgertums vor Thron und Altar, zu Untertanengeist, Chauvinismus, Militarismus und Antisemitismus, während die bürgerlichen Demokraten zur Minderheit verkümmerten.

Als Haas 1884 in Mannheim begonnen hatte, waren Verlag, Redaktion und Druckerei von recht bescheidenem Ausmaß und zudem noch getrennt in F 3 und F 4 untergebracht. Im August 1885 konnte er dann die größeren Räume in E 6,2 neben der katholischen Spitalkirche beziehen. Auf einer Zweifarben-Rotationsmaschine druckte er dort neben dem "General-Anzeiger" auch eine sogenannte Romanbibliothek, eine Art Groschenheft-Reihe, die von den Lesern zusammen mit der Zeitung abonniert werden konnte.

Praktisch war Haas der Geschäftsnachfolger in den Räumlichkeiten der ehemaligen Druckerei des Katholischen Bürgerhospitals, die seit 1790 das "Mannheimer Journal" hergestellt hatte. Vermutlich war die Druckerei genauso altersschwach wie das "Mannheimer Journal", so daß beide nach und nach in den Besitz von Haas übergingen. Mit Grundstück und Inventar erwarb Haas auch eine Reihe von Verlagsrechten, vor allem am Einwohner-Adreßbuch, das noch heute von der "Südwestdeutschen Verlagsanstalt", einer hundertprozentigen Gesellschaft der "Dr. Haas GmbH", herausgebracht wird. (19)

Nach dem Pakt mit den Nationalliberalen erweiterte Haas die Akzidenzabteilung seiner Druckerei erheblich, indem er mit seinem Schwager Arthur Juillerat-Chasseur und dem Buchdruckereibesitzer Theobald Wendling zum 1. Januar 1888 die "Erste Mannheimer Typographische Anstalt Wendling, Dr. Haas u. Co." gründete. (21) Der 45jährige Schwager war 1887 nach Mannheim gekommen, um als Prokurist in den Betrieb einzutreten.

Bis 1890 hatte der "General-Anzeiger" eine Auflage von 11300 Exemplaren erreicht und rühmte sich, sowohl in Mannheim als auch im Großherzogtum Baden die verbreitetste Zeitung zu sein. (22) Der Dr. Haas hatte damit die Erwartungen erfüllt, die von den Nationalliberalen in sein Talent als Blattmacher gesetzt worden waren.

Der "General-Anzeiger" erschien werk- und sonntags einmal. Die geringere Erscheinungshäufigkeit gegenüber der "Neuen Badischen Landes-Zeitung", die werktags zweimal und sonntags einmal herauskam, begünstigte sein Eindringen in die ärmeren Bevölkerungskreise. Die "Neue Badische Landes-Zeitung" versuchte diesem Nachteil abzuhelfen, indem sie das Einzelabonnement auf das Morgen- oder das Mittagsblatt pflegte, das für sich genauso teuer war wie ein Normalabonnement des "General-Anzeigers" (20). Ungeschmälerte Lektüre verhieß eine solche Lösung nur dann, wenn die Einzelabonnenten ihre Morgen- und Mittagsblätter untereinander austauschten.

Die einzige Zeitung, die vom Preis her den "General-Anzeiger" unterbot, blieb die "Badisch-Pfälzische Volks-Zeitung". Aufgrund ihrer besonderen Aufgabe unter dem Sozialistengesetz konnte sie jedoch kein derart breites Publikum ansprechen wie der "General-Anzeiger", den sie ursprünglich aus dem Feld geschlagen hatte, als Haas noch auf die Leserschaft der Arbeiter spekulierte. Auch dürfte der "General-Anzeiger" journalistisch besser gemacht gewesen sein, d.h. er garnierte seine bürgerlich-konservative Grundhaltung geschickt mit allerlei interessanten Neuigkeiten, Unterhaltung, Klatsch und Sensationsnachrichten. Er war "volkstümlich" gestaltet und zugleich für die höheren Ansprüche des nationalliberalen Besitzbürgertums geeignet.

Der politische Kampf des "General-Anzeigers" gegen die demokratische Partei und deren "Neue Badische Landes-Zeitung" beschränkte sich nicht auf den Schlagabtausch in einem Schlammbad von Druckerschwärze, sondern geriet gelegentlich bis zu den gerichtlichen Auseinandersetzungen. So verklagte Haas die Herausgeber der "Neuen Badischen Landes-Zeitung", die Gebrüder Albert, Sigmund und Julius Bensheimer, 1888 wegen Beleidigung. (23) Der Verleger Sigmund Bensheimer verklagte seinerseits 1890 den Dr. Haas, weil er ein Berichtigungsbegehren "ad acta" gelegt hatte, anstatt die Gegendarstellung zu veröffentlichen. (24)

Haas stellte auch in Mannheim sein bereits in Weinheim gezeigtes Talent unter Beweis, sich als tatsächlicher Redakteur des Blattes vor der juristischen Verantwortung zu drücken. So hatte er, als er noch um die Leserschaft der Sozialdemokratie warb, den damals verantwortlich zeichnenden Redakteur Lorenz Frey ins offene Messer des Staatsanwalts rennen lassen. Frey versicherte jedenfalls später, daß ein Artikel, für den er zu Gefängnis verurteilt worden war, eigentlich von Haas verfaßt worden sei. (25) - In ähnlicher Weise zog sich Haas jetzt aus der Affäre, als ihm der Nichtabdruck einer Berichtigung zum Vorwurf gemacht wurde. Er verwies darauf, daß er zwar tatsächlicher Redakteur des "General-Anzeigers" sei, die juristische Verantwortung jedoch von den beiden Redakteuren Julius Katz und Ernst Müller getragen werde, die allein mit ihren Namen im Kopf der Zeitung verantwortlich zeichneten. Die Berichtigung hätte deshalb nicht an ihn, sondern an die Genannten gerichtet sein müssen. Haas wurde freigesprochen. (24)

Die Justiz war bei solchen Auseinandersetzungen alles andere als unparteiisch. Als zum Beispiel der demokratische Verleger Sigmund Bensheimer 1888 in erster Instanz vorm Schöffengericht vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen wurde, legte Haas als Privatkläger Berufung bei der 1. Strafkammer des Landgerichts ein, die den Fall prompt zur erneuten Verhandlung ans Schöffengericht verwies. Vorsitzender dieser Strafkammer war der nationalliberale Funktionär August Bassermann, ein Parteifreund des Dr. Haas. (23).

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