Sonderblatt der "Neuen Mannheimer Zeitung" anläßlich der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933.

"Die guten Kräfte des Nationalsozialismus früh erkannt"

Wie die "Neue Mannheimer Zeitung" den neuen Machthabern huldigte und ihren besonderen Part im nazistischen Pressewesen übernahm

Von allen Mannheimer Blättern hatte die "Neue Mannheimer Zeitung" der Nazi-Partei und ihrem "Hakenkreuzbanner" am nächsten gestanden. So hatte Chefredakteur Hans Albert Meißner in einem Leitartikel am 15. August 1932 dazu aufgefordert, "Brücken" zu den Faschisten zu bauen. Nach der Machtergreifung proklamierte die Zeitung in einem schwarz-weiß-rot gestalteten Sonderblatt den "Marsch in die Zukunft". Man stelle sich bewußt in den Dienst der "Aufbauarbeit" des "Volkskanzlers" Hitler, hieß es da. Man wolle "die erhabenen Kräfte der deutschen Vergangenheit mit dem jugendlichen Schwung der neuen Zeit verbinden". Weiter hieß es: "Die Erkenntnis, daß die blutmäßige Verbundenheit des Menschen mit seiner Heimat und seinem Vaterland ihn erst instand setzt, für die Gemeinschaft Wertvolles zu leisten, läßt die Neue Mannheimer Zeitung danach streben, ihre Leser mit den ewigen Kräften der Landschaft vertraut zu machen und zu verbinden." Solcher Blut- und-Boden-Schwulst wurde mit hauseigener Geschichtsklitterung garniert: Die Zeitung habe "in den 144 Jahren, in denen sie erscheint, für den deutschen Gedanken in den Jahren Napoleons gefochten, sie hat mit den Männern von Hambach für die deutsche Einheit gekämpft, sie zwar Zeuge der deutschen Größe und mit dem aufrechten Mannheimer Bassermann getreuer Schildhalter des Altkanzlers Bismarck." Dieses allezeit verfolgte "Streben um des Volkes Wohle gibt der Neuen Mannheimer Zeitung das Recht, sich rückhaltlos hinter die Regierung der nationalen Wiedergeburt zu stellen. Deutsch in dem Kampf um des Reiches Einheit, deutsch in dem Kampf um des Volkes Größe, deutsch in dem Kampf um die völkische Erneuerung der Nation. '°"

Diese Suada enthielt sowohl ein Treuegelöbnis gegenüber dem Faschismus und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wie auch gewisse Reserven gegenüber einzelnen Punkten der faschistischen Politik und Ideologie. Die großbürgerlichen Kreise, die Hitler zur Macht verholfen hatten und als deren Sprachrohr die "Neue Mannheimer Zeitung fungierte, glaubten damals noch immer, Hitler als ihr politisches Instrument benutzen zu können. Von rechts bis links, von den "nationalbürgerlichen Kreisen bis in die Reihen der längst verbotenen und verfolgten Arbeiterbewegung, herrschte damals noch die Überzeugung vor, daß der Faschismus nur eine Episode sei; daß sich Hitler allmählich die Zähne ausbeißen und sich als autoritärer Schutzpatron des kapitalistischen Systems verwenden lassen würde; oder daß der Faschismus nur eine Art Durchgangs- und Endstadium der kapitalistischen Gesellschaft sei, auf dem sich umso besser der Sozialismus errichten lassen würde.

Die Faschisten dachten freilich nicht daran, in dem kapitalistischen System, das sie mit ihrer Machtergreifung gerettet hatten, nur den Butler der Bourgeoisie zu spielen. Die faschistische Bewegung besaß aufgrund ihres durch und durch demagogischen Charakters eine eigene Dynamik. So erwarteten große Teile der kleinbürgerlichen bis proletarischen Anhängerschaft nach 1933 tatsächlich die Einlösung des Versprechens, daß nun der "nationale Sozialismus folgen würde. Die Ermordung Röhms und anderer hoher SA-Führer verfolgte nicht zuletzt den Zweck, diesen Parteikreisen deutlich zu machen, daß das kapitalistische System intakt zu bleiben habe. Hitler war zu klug, um die sozioökonomische Grundlage zu zerstören, der er seine Macht verdankte. Andererseits blieb er ein Gefangener jener zutiefst mit Fäulnis behafteten, dem Irrationalismus und der Demagogie ergebenen bürgerlichen Gesellschaft Deutschlands, die spätestens seit der Oktoberrevolution in Rußland nur noch aus ihrem Willen heraus begriffen werden konnte, ihre vermeintlich drohende Ablösung durch den Sozialismus zu verhindern. So kam es zur historischen Katastrophe, in der es der deutschen Bourgeoisie wie dem Zauberlehrling erging, der die Geister, die er gerufen hatte, nicht mehr zu bändigen vermochte.

Auch die "Neue Mannheimer Zeitung" bekam dies zu ihrem Leidwesen zu spüren. Chefredakteur Meißner, der sich vor einem Jahr noch für den Brückenschlag zu den Faschisten eingesetzt hatte, erntete nach der Machtergreifung nichts als Undank: "Will der Rotarier Meißner nach Kislau?" drohte das "Hakenkreuzbanner" in einem Artikel am 2. Juni 1933 (Kislau war ein Konzentrationslager, in das zahlreiche politische Opfer des Faschismus aus Mannheim und Baden nach der Machtergreifung verbracht wurden).

In der ersten Zeit nach der Machtergreifung kujonierte das "Hakenkreuzbanner" seine Konkurrenten bis zu deren Selbstverleugnung. So wachte es wie ein Schießhund darüber, ob auch sämtliche NSDAP-Parolen, einschließlich der Losung "Abonniert das Hakenkreuzbanner!" bei den anderen Zeitungen abgedruckt wurden. Als dies von der "Neuen Mannheimer Zeitung" verweigert wurde - "niemand kann uns zumuten, für eine Konkurrenzzeitung Reklame zu machen" (101) - sah das amtliche Parteiblatt darin wieder mal den Beweis für die politische Unzuverlässigkeit seines wichtigsten Konkurrenten.

Die "Neue Mannheimer Zeitung" veröffentlichte aus diesem Anlaß am 17. Oktober 1933 eine "Klarstellung in eigener Sache", in der sie an das "Hakenkreuzbanner" appellierte, die gemeinsame politische Sache über das kleinliche Geschäftsinteresse zu stellen. Die neuen Besitzer der Zeitung äußerten darin ihre Überzeugung, "daß es jetzt darauf ankommt, nicht länger mehr rückwärts zu blicken, sondern nur noch vorwärts. Die Zeiten sind mehr als je zuvor viel zu ernst, als daß sich Deutsche mit Deutschen noch länger befehden dürften. Unser deutsches Vaterland gleicht jetzt wieder mal einer belagerten Festung. Daß darin Burgfrieden herrscht, ist eine Lebensnotwendigkeit für uns alle. Die nationale Regierung braucht jetzt alle guten Deutschen."

In diesem Zusammenhang nahm die "Neue Mannheimer Zeitung" erneut für sich in Anspruch, daß sie von allen bürgerlichen Blättern dem Faschismus seit jeher am nächsten gestanden habe:

"Die Männer, die für den Verlag und die Schriftleitung der Neuen Mannheimer Zeitung verantwortlich sind, nehmen für sich in Anspruch, daß sie es als selbstverständliche nationale Ehrenpflicht empfinden, mit vorbehaltlosem Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit am Aufbau des neuen nationalen Staates mitzuarbeiten. Dabei können wir jederzeit unter Beweis der Öffentlichkeit stellen, daß wir weit früher als jede andere nationalbürgerliche Zeitung in Mannheim die in der nationalsozialistischen Bewegung vorhandenen guten Kräfte und Eigenschaften erkannt und gewürdigt haben."

Auch in dieser "Klarstellung" verband sich wieder die grundsätzliche Unterstützung Hitlers als Garant des kapitalistischen Systems mit Vorbehalten im einzelnen, wo die faschistische Politik über die Bestrebungen und Ansichten der "nationalbürgerlichen" Kreise hinausging. Die "Neue Mannheimer Zeitung" machte sich zum Anwalt jener Bourgeoisie, die Hitler im Grunde, aller Lobpreisung als "Volkskanzler" zum Trotz, für einen unsympathischen Gesellen hielt, ihn aber allemal einer sozialen Umwälzung von links her vorzog.

Am deutlichsten kontrastierte die "Neue Mannheimer Zeitung" zum "Hakenkreuzbanner" in der Frage des Antisemitismus. Als zum Beispiel im Oktober 1933 die Schreinerinnung bei einer Werbewoche des "deutschen Handwerks" schlechte Möbel vorstellte, die angeblich aus einem jüdischen Warenhaus stammten, ignorierte die "Neue Mannheimer Zeitung" die Herkunftsangabe geflissentlich und schrieb lediglich von "schlechten Möbeln, mit denen sich der Hausherr abzuärgern hatte". (102) Das "Hakenkreuzbanner" ergriff natürlich sofort die Gelegenheit, um dem Konkurrenzblatt wieder mal politische Unzuverlässigkeit vorzuwerfen. (103)

Noch 1938 konnte es die "Neue Mannheimer Zeitung" riskieren, in metaphorisch verblümter, für den Lesekundigen aber eindeutiger Weise die Pogrome der "Reichskristallnacht" zu mißbilligen, die bis in die Reihen der Mannheimer NSDAP ein zwiespältiges Echo ausgelöst hatten. (104) Offenbar fühlten sich Redaktion und Eigentümer des Blattes noch einem bürgerlichen Grundkonsens verpflichtet, der die jüdische Bourgeoisie miteinschloß. Wie groß der Anteil jüdischer Familien an der Mannheimer Bourgeoisie einst gewesen ist, zeigt schon ein Blick auf die Gesellschafterliste des ehemaligen "General-Anzeigers". Zum Beispiel gehörten der Bankier Karl Ladenburg dazu, der Schwiegervater von Ernst Bassermann, oder der Großkaufmann Bernhard Herrschel. Wenn nun die Karl-Ladenburg-Straße "entjudet" wurde und das Herrschel-Bad in "Städtisches Hallenbad" umbenannt wurde (98), war dies ein ähnlicher Affront gegenüber der Mannheimer Bourgeoisie wie die Beseitigung des überlebensgroßen Bassermann-Denkmals am Oberen Luisenpark. (62)

Noch ein Punkt will in diesem Zusammenhang bedacht sein: Die "Neue Mannheimer Zeitung" mußte, um sich gegen das übermächtige "Hakenkreuzbanner" behaupten zu können, ein redaktionelles Kontrastprogramm bieten. Der redaktionelle Teil war überhaupt der einzige Grund, um die Zeitung nach 1933 noch zu kaufen und zu lesen, nachdem das "Hakenkreuzbanner" das Anzeigengeschäft an sich gerissen hatte. Es war für die "Neue Mannheimer Zeitung" eine Existenzfrage, die interessanter und intelligenter gestaltete Zeitung zu sein, die "zwischen den Zeilen" so manche Orientierungshilfe vermittelte, die man im stramm-militanten Parteiblatt "Hakenkreuzbanner" vergeblich suchte. (98) So galt innerhalb der Mannheimer Bourgeoisie bald die Devise, daß man das "Hakenkreuzbanner" zwar halten, die "Neue Mannheimer Zeitung" jedoch lesen müsse.

Gerade damit nahm die "Neue Mannheimer Zeitung" jedoch nur den Platz ein, der ihr im Konzept der faschistischen Pressepolitik von Anfang an zugedacht war. i05 Sie erfüllte eine Art Ventilfunktion, wie sie der "Frankfurter Zeitung" oder der von Goebbels höchstpersönlich gegründeten Wochenzeitung "Das Reich" überregional und auf noch höherem Niveau zukam. Die breite Masse der Bevölkerung, die gewisse Kommentare und Informationen nicht "gegen den Strich" zu bürsten verstand, konnte damit ohnehin nichts anfangen. Viele Arbeiter und Angestellte dürften die "Neue Mannheimer Zeitung" nur deshalb gelesen haben, weil sie interessanter gemacht war und als das kleinere Übel gegenüber dem "Hakenkreuzbanner" erschien. Daß die Zeitung rückhaltlos die faschistische Macht- und Kriegspolitik unterstützte, wurde dabei ebenso leicht übersehen wie die allmähliche Angleichung in sämtlichen Punkten an die amtliche Parteipresse. Schon gar nicht war in der Öffentlichkeit bekannt, daß die "bürgerlichen" Besitzer am Ende nur noch als Aushängeschild dienten, während der größte Teil des Betriebes unmittelbar der NSDAP gehörte.

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