Sehn-Sucht: 26 Essays zur Dialektik von Nostalgie und Utopie

Vorwort


Das dritte Reich

Ein tausendjähriger Mythos zwischen Utopie und Nostalgie

Das dritte Reich ist bis heute die populärste Bezeichnung für das nationalsozialistische Deutschland geblieben. Weitgehend unbekannt sind jedoch die Wurzeln dieser Nostalgie, welche die Wiederkehr vergangener Reichsherrlichkeit versprach. Die tausend Jahre, die das dritte Reich der Nazis dauern sollte, reduzierten sich bekanntlich auf zwölf. Der Mythos selbst ist aber tatsächlich an die tausend Jahre alt.

Der Begriff des "dritten Reichs" ist - von der Verwendung des Wortes für den Nazi-Staat mal abgesehen - weitgehend synonym mit dem tausendjährigen Reich, dem ewigen Reich, dem ewigen Evangelium oder dem dritten Testament. Seine nostalgische Prägung hat er erst in der Neuzeit erfahren. Ursprünglich handelte es sich nämlich um eine religiöse Utopie, die aufs engste mit der Geschichte des Christentums und der Unterdrückung chiliastischer Bewegungen durch die kirchliche Orthodoxie verbunden ist.

Die Geschichte des Mythos beginnt an einem Pfingstmorgen, an dem der Zisterzienser-Abt Joachim von Floris (1130 - 1202) mit der Betrachtung der Johannesapokalypse beschäftigt war. Blitzartig enthüllte sich ihm das Geheimnis der Heiligen Schrift als Aufeinanderfolge von drei Zeitaltern, nämlich das des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Seine Erleuchtung hat er mit diesen Worten zu beschreiben versucht:

Auf drei Weltordnungen weisen uns die Geheimnisse der Heiligen Schrift: auf die erste, in der wir unter dem Gesetz waren, auf die zweite, in der wir unter der Gnade sind, auf die dritte, welche wir schon aus der Nähe erwarten, in der wir unter einer reicheren Gnade sein werden, weil Gott, wie Johannes sagt, uns Gnade für Gnade gab, nämlich den Glauben für die Liebe und beide gleicherweise. Der erste status also steht in der Wissenschaft, der zweite in der teilweise vollendeten Weisheit, der dritte in der Fülle der Erkenntnis. Der erste in der Knechtschaft der Sklaven, der zweite in der Knechtschaft der Söhne, der dritte in der Freiheit. Der erste in der Furcht, der zweite im Glauben, der dritte in der Liebe. Der erste ist der Status der Knechte, der zweite der Freien, der dritte der Freunde. Der erste der Knaben, der zweite der Männer, der dritte der Alten. Der erste steht im Licht der Gestirne, der zweite im Licht der Morgenröte, der dritte in der Helle des Tages. Der erste steht im Winter, der zweite im Frühlingsanfang, der dritte im Sommer. Der erste bringt Primeln, der zweite Rosen, der dritte Lilien. Der erste bringt Gras, der zweite Halme, der dritte Ähren. Der erste bringt Wasser, der zweite Wein, der dritte Öl. Der erste status bezieht sich auf den Vater... der zweite auf den Sohn... der dritte auf den Heiligen Geist. 1

Joachim von Floris schuf mit dieser Drei-Phasen-Theorie die folgenreichste Sozialutopie des Mittelalters (Ernst Bloch). In seiner Sicht verwandelte sich die Trinitätslehre zu einer großartigen Geschichtsphilosophie, die in mancher Hinsicht bereits an die Hegelsche Dialektik des absoluten Geistes gemahnt. Er erneuerte zugleich den Chiliasmus des ursprünglichen Christentums, das ja an ein durchaus irdisches und unmittelbar bevorstehendes Reich Gottes glaubte. Auch Joachim glaubte, auf Grundlage der Heiligen Schrift das bevorstehende Ende der Welt voraussagen und den Beginn des dritten, des ewigen Reiches genau für das Jahr 1260 bestimmen zu können.

Die Kirche hatte sich von diesem ursprünglichen Chiliasmus inzwischen verabschiedet, und dies aus gutem Grund: Er hatte nämlich die Christengemeinde und die neue römische Staatsreligion in eine schwere Krise gestürzt, als Rom im Jahre 410 durch die Westgoten unter Alarich eingenommen und drei Tage lang geplündert worden war. In den Augen vieler Zeitgenossen, Heiden wie Christen, bedeutete dies ein schmähliches Versagen des Christengottes und seiner Heiligen. Der afrikanische Bischof Augustinus meisterte die kritische Situation, indem er sein umfangreiches Werk vom Gottesstaat schrieb, das bis heute für die katholische Theologie richtungsweisend geblieben ist. Augustinus verwarf darin die chiliastische Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Gottesreiches. Stattdessen ließ er das Reich Gottes bereits in die Gegenwart hineinreichen, und zwar in Gestalt der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen. Augustinus wurde damit zum Begründer der alleinseligmachenden Kirche, außerhalb der es kein Heil gibt. Er begründete zugleich den universalen Machtanspruch der Päpste, als Sachwalter des Gottesreiches noch über der weltlichen Gewalt des Kaisers zu stehen.

Vor diesem Hintergrund konnten Joachims Erleuchtungen keine theologische Billigung finden. Indem sie den Untergang der Kirche im Reich des Geistes voraussagten, gefährdeten sie die göttliche Legitimation der Kirche. Mit Joachim selbst ging die Kirche noch einigermaßen glimpflich um. Aber schon kurz nach seinem Tod hat das Laterankonzil von 1215 seine Lehren verurteilt. Ein Franziskaner, der Joachims Schriften unter dem Titel ewiges Evangelium zusammenstellte, wurde lebenslänglich eingekerkert. Zahlreiche andere Anhänger der joachimitischen Lehre wurden als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Die joachimitische Utopie war indessen trotz aller Unterdrückung und Verfolgung nicht gänzlich totzukriegen. Sie überstand sogar das kritische Jahr 1260, in dem nach Joachims Berechnungen eigentlich das Zeitalter des Heiligen Geistes bzw. das dritte Reich hätte beginnen müssen. Sie inspirierte besonders den radikalen Flügel der Franziskaner, die "Spiritualen", die Joachims Lehren als "ewiges Evangelium" betrachteten und deshalb der Drangsalierung durch die kirchliche Orthodoxie ausgesetzt waren. Sie wirkte weiter in den Mystikern, in Hussiten, Widertäufern und in der sozialrevolutionären Utopie Thomas Müntzers. Sie mündete schließlich in die Reformation Luthers, der in durchaus joachimitischer Manier die Axt an den alleinseligmachenden Anspruch der Kirche legte, zugleich aber auch dem Chiliasmus einen neuen Riegel vorschob.

Schon frühzeitig zweigte sich vom religiösen Chiliasmus des dritten Reiches eine mehr profane Utopie ab, welche die Gestalt des Erlösers auf den Kaiser und dessen Reich übertrug. Nach der biblischen Legende besteht zwischen beiden Reichen ein historischer Zusammenhang: Schließlich bedeutet das dritte, ewige Reich Gottes die Nachfolge und Überwindung aller vorangegangenen weltlichen Reiche. So ist im Johannes-Evangelium von der tausendjährigen Fesselung des Teufels die Rede, der dann kurzzeitig freigelassen wird, ehe das Reich Christi beginnt. Nachdem die frühen Christen täglich das Kommen des Erlösers erwartet hatten und immer wieder enttäuscht worden waren, stützte man sich gerne auf diese Bibelstelle und rechnete die erwähnten tausend Jahre ab Christi Geburt, so daß sich die Erwartung des Weltuntergangs für das Jahr 1000 ergab. Die damalige Christenheit hat diesem magischen Datum voller Bangen und Entsetzen entgegengeblickt. Auch hier konnte Augustinus posthum aus der Klemme helfen. Er hatte nämlich die Frage nach dem genauen Weltende als "unschicklich" angesehen und die "tausend Jahre" als eher unbestimmte Zeitangabe relativiert. Ebenso legte Augustinus, gemäß seiner Gottesstaats-Theorie, großen Wert darauf, daß die tausend Jahre der Fesselung des Teufels zugleich die "tausendjährige Herrschaft Christi" seien. Damit fiel auf den weltlichen Staat ein Abglanz des Gottesreichs. 2

Den unmittelbaren Anstoß für die weltliche Utopie vom tausendjährigen Reich oder dritten Reich dürften - unbeabsichtigt - die Joachimiten selbst gegeben haben. Gemäß der erwähnten Weissagung des Johannes, wonach zwischen der Fesselung des Teufels und dem endgültigen Triumph des Gottesreichs die vorübergehende Freisetzung des Bösen liegt, galt ihnen nämlich der staufische Kaiser Friedrich II. als jener Teufel bzw. Antichrist, dessen kurzzeitige Herrschaft dem Gottesreich vorausgehen sollte. Das war keineswegs eine häretische Sichtweise, sondern entsprach nur der Haltung der Amtskirche, die auf diese Weise im Streit zwischen Guelfen und Ghibellinen ihren aufgeklärten staufischen Widersacher buchstäblich zu verteufeln versuchte. Vor allem aber paßte Friedrich II. als "Antichrist" hervorragend ins eschatologische Konzept des Weltuntergangs, den der längst verstorbene Joachim im Lichte seiner aus der Bibel gewonnenen Erkenntnisse auf das Jahr 1260 festgesetzt hatte.

Schon zehn Jahre vor dem erwarteten Weltuntergang passierte nun jedoch etwas, was die Joachimiten kaum minder verwirrte als das spätere Ausbleiben des dritten Reichs: Friedrich II. starb nämlich überraschend. Der "Antichrist" war damit aus der Welt, bevor die Welt unterging und das ewige Reich des Heiligen Geistes begann. Das paßte nicht mit dem chiliastischen Terminplan zusammen, und so flickte man den geborstenen Mythos, so gut es eben ging: Es entstand die Legende, daß Friedrich II. gar nicht tot sei, sondern in der Hölle unter dem Vulkan Ätna nahe seiner sizilianischen Residenz hause und eines Tages von dort wiederkehren werde - für die einen, um die Herrschaft des Antichrist zu vollenden, für die anderen, um - ganz im Gegenteil - das staufische Kaiserreich im tausendjährigen Glanz zu erneuern.

Es würde zu weit führen, die vielfach verschlungenen Stränge dieser Friedrichs-Sage im propagandistischen Kampf zwischen Guelfen und Ghibellinen bzw. päpstlichen und kaiserlichen Interessen verfolgen zu wollen. Oft ist auch die Quellenlage zu dürftig, um mehr als Mutmaßungen anstellen zu können. Jedenfalls tauchte die Legende vom bergentrückten Kaiser auch nördlich der Alpen auf und gewann hier ausgesprochen stauferfreundliche Züge. Schließlich blieb sie sogar nur noch im weltlichen Mythos von der Erneuerung des Kaiserreichs erhalten. Allerdings trat nun an die Stelle des Ätnas auf Sizilien der Berg Kyffhäuser in Thüringen und an die Stelle Friedrichs II. dessen Vorgänger Friedrich I., auch Barbarossa genannt.

Im Unterschied zum joachimitischen Chiliasmus, der noch über Jahrhunderte in der Kirche virulent blieb, dürfte von dieser Kaiser-Legende kaum geschichtsmächtige Kraft ausgegangen sein. Sie war eher ein Abgesang auf vergangene Herrlichkeit. Sie hielt die Erinnerung an das Reich der Staufer wach. Als nostalgische Beschwörung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation war sie so kraftlos wie dieses selbst. Der Wind der Geschichte blies der kaiserlichen Zentralgewalt ins Gesicht. Dies erklärt vielleicht auch, weshalb es von der Kaiser-Sage zahlreiche regional geprägte Varianten gibt, in denen sowohl der Name des bergentrückten Herrschers wie auch der Name des Berges, des Endzweckes des unterirdischen Ausharrens und sonstige Umstände verschieden sind. 3

Die Kernsage wurde erst wieder vom erwachenden deutschen Nationalgefühl entdeckt. So lieferte die Barbarossa-Legende den Stoff für eine Ballade, die Rückert im Jahr 1817, auf dem Höhepunkt der nationalen Hoffnungen nach den Befreiungskriegen, zu Papier brachte. Die ersten drei Strophen lauten:

Der alte Barbarossa
Der Kaiser Friederich,
Im unterirdschen Schlosse
Hält er verzaubert sich.

Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.

Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen
Mit ihr, zu seiner Zeit.

Die Barbarossa-Sage, wie sie im Zuge der nationalen Bewegung reaktiviert wird, ist natürlich kein realer, tatsächlich geglaubter Mythos mehr. Sie ist ein Symbol, eine Metapher für die Sehnsucht nach einem machtvollen, geeinten deutschen Reich. Sie ist ein nostalgischer Tagtraum. Angesichts der trostlosen Gegenwart labt man sich am Blick in die Vergangenheit, vergleichbar der Begeisterung für das "Altdeutsche", für Burgen und vergangene Ritterherrlichkeit, die ebenfalls um diese Zeit zu grassieren beginnt.

Bis 1848/49 sind in diesem Traum vom deutschen Kaiserreich aber auch revolutionär-liberale Tendenzen enthalten, wie das folgende Gedicht Hoffmanns von Fallersleben zeigt:

Wenn der Kaiser doch erstände!
Ach! er schläft zu lange Zeit:
Unsre Knechtschaft hat kein Ende
Und kein End hat unser Leid.

Auf dem schönen deutschen Lande
Ruht der Fluch der Sklaverei -
Mach uns von der eignen Schande,
Von dem bösen Fluche frei!

Kaiser Friedrich, auf! erwache!
Mit dem heil'gen Reichspanier
Komm zu der gerechten Rache!
Gott der Herr er ist mit dir.

Ach! Es krächzen noch die Raben
Um den Berg bei Tag und Nacht.
Und das Reich, es bleibt begraben,
Weil der Kaiser nicht erwacht.

Der Mythos vom dritten Reich lebte nicht nur in der Kaisersage fort, sondern inspirierte auch ganz unmittelbar den Fortschrittsglauben der Aufklärung. Für Lessing stand fest, daß die joachimitische Vorstellung vom dreifachen Alter der Welt sicher keine so leere Grille gewesen sei und daß die utopistischen Schwärmer des Mittelalters einen Strahl dieses neuen, ewigen Evangeliums aufgefangen hatten und nur darin irrten, daß sie den Ausbruch desselben so nahe verkündeten. Lessing teilte sicher nicht den religiösen Chiliasmus, aber im Sinne des "Prinzips Hoffnung", wie es Ernst Bloch später formulierte, schien ihm der vernunftmäßig geläuterte Glaube an ein höheres Prinzip der Geschichte und an eine höhere Bestimmung des Menschen unerläßlich:

Nein; sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand einer immer bessern Zukunft sich fühlet, von dieser Zukunft gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen nicht nötig haben wird; da er das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind, die seinen flatterhaften Blick ehedem bloß heften und stärken sollten, die innern bessern Belohnungen desselben zu erkennnen. Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines "neuen, ewigen Evangeliums", die uns selbst in den Elementarbüchern des Neuen Bundes versprochen wird. 4

Heinrich Heine hat in seinen Gedichten auf beide Varianten des alten Mythos zurückgegriffen. In "Deutschland, ein Wintermärchen" behandelt er ausführlich, aber voll ironischer Distanz die Legende vom Kaiser Barbarossa. Zunächst persifliert er die vertraute Vision vom Schlaf im Kyffhäuser. Dann verwandelt sich der Kaiser plötzlich in eine Art Antiquar, der geschwätzig durch die unterirdischen Räume führt, alte Fahnen abstaubt und mit dem Hermelin von Schwertern den Rost abreibt. Als sich der Kaiser über die mangelnde Zahl seiner Rösser beklagt, gibt ihm Heine den anzüglichen Rat, es doch einfach mit Eseln zu versuchen...

Ganz ohne Ironie, mit aufklärerischem Enthusiasmus, machte sich Heine dagegen den vernunftmäßig geläuterten Chiliasmus Lessings zueigen. Im Zyklus "Seraphine" seiner im Vormärz verfaßten "Neuen Gedichte" beschwört er geradezu hymnisch die Überwindung der alten Moral durch das pantheistische Credo vom "dritten Testament":

Auf diesen Felsen bauen wir
Die Kirche von dem dritten
Dem dritten neuen Testament;
Das Leid ist ausgelitten.

Vernichtet ist das Zweierlei,
Das uns so lang betöret;
Die dumme Leiberquälerei
Hat endlich aufgehöret.

Hörst du den Gott im finstern Meer?
Mit tausend Stimmen spricht er.
Und siehst du über unserem Haupt
Die tausend Gotteslichter?

Der heil'geGott, der ist im Licht
Wie in den Finsternissen;
Und Gott ist Alles, was da ist;
er ist in unsern Küssen.

Die Zerschlagung der revolutionären Erhebung von 1848/49 machte solche vormärzlichen Träume von einem liberalen Deutschland mit einer neuen, freieren Moral zunichte. Anstelle des ersehnten großdeutsch-liberalen Kaiserreichs unter Einschluß Österreichs bekam die Nation ein kleindeutsch-obrigkeitsstaatliches Kaiserreich unter dem Stiefel des preußischen Militarismus. Die Kaiseridee wurde nun endgültig für Hurra-Patriotismus und imperialistische Expansionsgelüste vereinnahmt. Auf dem Kyffhäuser in Thüringen, unter dem nach der Legende Barbarossa auf die Erneuerung des Reiches wartet, wurde von 1890 bis 1896 ein Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal errichtet. Auch sonst gab man sich alle Mühe, die Glorie der Legende, die ja mit dem längst ausgestorbenen Geschlecht der Staufer verbunden war, auf die regierenden Hohenzollern überzuleiten. Zum Beispiel machte sich der damals sehr bekannte Dichter und Schriftsteller Wilhelm Jensen an die Aufgabe, den Hohenzollern als den "wahren Kyffhäuserberg" zu besingen:

Zwei Gipfel ragen im Schwabenland
Sie künden empor mit deutender Hand
Des deutschen Reiches Geschichte:
Der öde Staufen im Abendglanz,
Der Hohenzollern im Zinnenkranz
Vergoldet vom Morgenlichte.

Das ist der wahre Kyffhäuserberg,
Dort hielt die geheime Wach der Zwerg,
Dort krächzen die fränkischen Raben.
Aufspringt sein Tor - im Purpurkleid
Die versunkene deutsche Herrlichkeit
Steigt auf, die nimmer begraben.

Auch der Historiker Franz Kampers, der die bis dato gründlichste Untersuchung über "Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage" verfaßte, konnte sich nicht enthalten, am Schluß seines 1896 veröffentlichten Werkes in untertänigsten Jubel auszubrechen:

Ja, der Berg hat sich aufgetan; wiederum leuchtet vom Fels zum Meer das befreite Szepter eines deutschen Kaisers. Schon schickt man sich an, das Kyffhäuser-Denkmal zu enthüllen, das da den Kaisertraum des deutschen Volkes und seine Erfüllung im ehernen Bilde feiern soll. Bald wird das Kyffhäuser-Standbild des ersten deutschen Kaisers nach der Wiederaufrichtung des Reiches stolz in die Lüfte ragen. Der Kaiser ist erstanden... 5

Nach dem Zusammenbruch des wilhelminischen Kaisertums in der Revolution von 1918 bekam das chiliastische Motiv vom dritten Reich, das bis dahin in der Barbarossa-Sage überwintert hatte, eine neue, aktuell-politische Bedeutung und Stoßkraft. Es stand nun für die verbreitete Sehnsucht nach Tilgung der "Schmach von Versailles" und Wiedererrichtung eines Obrigkeitsstaates. Es beschwor die Fortsetzung des mittelalterlichen Kaiserreichs und der von Bismarck geschmiedeten Kaiserkrone. Sein Prophet wurde Arthur Moeller van den Bruck (1876 - 1925), der mit seinem 1923 erschienenen Buch "Das dritte Reich" jenes Schlagwort in Umlauf brachte, dessen sich bald darauf die Nationalsozialisten bemächtigten.

Die Faszination, die von Moeller van den Brucks "drittem Reich" ausging, erklärt sich aber nur zum Teil aus der Idee einer Erneuerung und Fortsetzung des alten Reiches. Das Buch bot nicht nur einen Aufguß des Kyffhäuser-Kults. Es verband vielmehr die politische mit einer sozialen Vision: Es versprach ein drittes Reich des inneren Friedens, in dem Klassen- und Standesunterschiede überwunden sind. Ursprünglich wollte Moeller van den Bruck sein Buch "Die dritte Partei" betiteln und so sein eigentliches Anliegen zum Ausdruck bringen, nämlich einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus zu finden. Die Verschmelzung nationaler und sozialer Ideen, die Stiftung einer harmonischen Volksgemeinschaft, war das eigentliche Thema. Mit dieser politischen Romantik traf er den Nerv einer Gesellschaft, die durch die Revolution von 1918 wie auch durch die vorangegangene russische Revolution zutiefst verunsichert worden war und in der die kleinbürgerliche Mittelschicht durch Inflation und Massenarbeitslosigkeit vom Absturz ins soziale Nichts bedroht war.

Das dritte Reich, wie es durch Moeller van den Bruck beschworen wurde, griff über die politische Reichsidee hinaus. Es verhieß eine Art sakrale Volksgemeinschaft und machte damit deutliche Anleihen beim ursprünglichen religiösen Chiliasmus. Es versprach nicht die Restauration der Hohenzollern-Monarchie, sondern eine spirituell-soziale Revolution, ein drittes Reich jenseits der profanen Niederungen von Kapitalismus und Kommunismus.

Nach der Machtergreifung Hitlers war natürlich auch die Zunft der Historiker wieder aufgerufen, zur braunen Einfärbung des alten Mythos die passende Monographie zu liefern. Der Titel lautete jetzt "Die Sehnsucht nach dem Dritten Reich in deutscher Sage und Dichtung". Und wie selbstverständlich wußte ein Julius Petersen dieselbe professorale Gelehrsamkeit, die einst bei Franz Kampers die Kaisersage ins Reich der Hohenzollern münden ließ, jetzt mit der Verklärung Hitlers als Erfüller des Traums vom dritten Reich zu verbinden:

Nun ist das Morgen zum Heute geworden; Weltuntergangsstimmung hat sich in Aufbruch verwandelt; das Endziel tritt ins Blickfeld der Gegenwart, und aller Wunderglaube wird zur tatkräftigen Gestaltung der Wirklichkeit angesetzt. Die mystische Dreizahl bedeutet nicht mehr Abschluß, sondern Glied einer historischen Reihe, die ihre Fortsetzung finden wird. Mit dem Eintritt des Unendlichen in die Endlichkeit ist der Uferlosigkeit ein Boden geschaffen, in den der Hoffnungsanker sich senkt. 6

Moeller van den Bruck hat die angebliche Verwirklichung des dritten Reichs im Hitler-Staat nicht mehr erlebt. Er landete bald nach Erscheinen seines Buches in einer Nervenheilanstalt und setzte seinem Leben in tiefer Depression ein Ende. Das Schlagwort vom dritten Reich, das er in Umlauf brachte, diente bis in den zweiten Weltkrieg hinein dem NS-Staat als Selbstbezeichnung. Die schließliche Untersagung dieser Bezeichnung durch Hitler selbst dürfte rein taktischen Überlegungen entsprungen sein; ähnlich der überraschenden Kehrtwendung bei der "gotischen Schrift", deren Frakturlettern zunächst als typisch deutsch und geradezu als Ausweis rechter Gesinnung galten, ehe sie als angebliche "Schwabacher Judenlettern" verfemt wurden. Beide Revisionen aus der Endzeit des Regimes sind auch nicht ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen. Noch heute dient "das dritte Reich" als Synonym für den NS-Staat, und die Frakturschrift blieb für die alliierten Sieger derart mit dem Faschismus verbunden, daß sie ihren Gebrauch nach 1945 verboten.

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