Sehn-Sucht: 26 Essays zur Dialektik von Nostalgie und Utopie

Vorwort


Das dreidimensionale Arkadien

Klassik und Spätstil des englischen Landschaftsgartens

In seinen 1770 erschienenen Observations on modern gardening verwirft der Gartentheoretiker Thomas Whateley ausdrücklich alle emblematischen Elemente bei der Gartengestaltung. Zugleich betont er, daß der Garten unregelmäßig anzulegen sei, die Architektur des dazugehörigen Gebäudes jedoch regelmäßig sein müsse.

Zu den emblematischen Elementen zählt Whateley Götterfiguren, Texttafeln, Gemälde oder Zypressen (als Trauersymbole). Solche barocken Überbleibsel beeinträchtigten den expressiven Charakter des Gartens (All these devices are rather emblematical than expressive). Die Regelmäßigkeit der alten Gärten sei einem Mißbrauch der Kunst entsprungen. Ebenso falsch sei aber die Forderung, daß das Gebäude eine irreguläre Figur haben müsse, um mit der Scene, zu der es gehört, überein zu kommen. Die Baukunst erfordere Symmetrie, die Gegenstände der Natur dagegen Freiheit. 1

Whateleys Forderungen wurden zu dieser Zeit längst in die Praxis umgesetzt: Schon in den vierziger Jahren wichen die emblematischen Elemente und begann die expressive Klassik des englischen Landschaftsgartens.

Der hervorragendste Vertreter des gärtnerischen Sensualismus war Launcelot Brown (1715 - 1783). Insgesamt hat Brown über zweihundert Gärten umgestaltet oder neu angelegt. Sein Eifer im Finden von Möglichkeiten (capabilities) zur Umgestaltung alter Anlagen im neuen Stil verhalf ihm zum Beinamen Capability Brown.

Brown begann seine Karriere zum führenden Landschaftsarchitekten1741 in Stowe, wo er die von Kent begonnene Neugestaltung fortsetzte und unter anderem ein Griechisches Tal anlegte. Er entwickelte ein genauso schlichtes wie wirkungsvolles Repertoire aus sanft gewelltem Rasengelände, Wasserflächen, Baumgruppen und serpentinenartig schwingenden Wegen, das zum Inbegriff des englischen Gartens wurde. Fester Bestandteil seiner Anlagen sind ein natürlich wirkender See und ein Rundweg, der als beauty line die reizvollsten Perspektiven erschließt. Die Begrenzungen des Parks werden durch Anpflanzungen oder freie Ausblicke in die Landschaft kaschiert. Den Gegenpol zum irregulären Garten bildet die Symmetrie der palladianischen Villa. Der Rasen wird unmittelbar an das Bauwerk herangeführt. Selbst die Anfahrt zur Villa erfolgt nicht mehr frontal über eine gerade Allee, sondern tangential über einen weit ausholenden, sanft gekurvten Zufahrtsweg.

Den wohl bemerkenswertesten Landschaftsgarten der klassischen Periode schuf jedoch kein professioneller Landschaftsgärtner, sondern ein Privatmann. Es ist der Park von Stourhead, den der Londoner Bankier Henry Hoare ab 1741 anlegte. Den Mittelpunkt des Gartens bildet, wie bei Brown, ein künstlicher See. Während aber Brown innerhalb des Gartens architektonische Elemente nur sehr spärlich verwendet, werden hier Tempel und ähnliche kleine Bauwerke als Blickfang eingesetzt; möglicherweise als Ausgleich für das fehlende architektonische Element der palladianischen Villa, die hier ausnahmsweise nicht in den Park eingebunden ist, sondern separat liegt. Auch sind die Höhenunterschiede des Geländes größer. Um das unregelmäßige Gestade des Sees folgt der Besucher der "beauty line", die ihn zu ständig wechselnden, reizvollen Ausblicken führt. Die architektonischen Blickfänge des Gartens, wie Tempel und Brücken, sind dabei abwechselnd nah und entrückt. Durch die Wasserfläche entsteht gleichsam eine träumerische Distanz zum anderen Ufer. Der Verlauf der Wege, die Bepflanzung, die Bauten und die Geländebeschaffenheit sind sorgfältig aufeinander abgestimmt, so daß keine Perspektive dem Zufall überlassen bleibt.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird diese klassische Version des englischen Gartens immer mehr von einer Ästhetik des Pittoresken überlagert und verdrängt. Das zeitgenössische Bewußtsein verlangt nach einer Steigerung der emotionalen Stimuli. Der Tory Sir William Chambers (1723 - 1796) verhilft diesem Bedürfnis in seiner 1772 erscheinenden Dissertation on Oriental Gardening zum theoretischen Ausdruck. Er wirft den Anlagen im Stil Browns vor, sie seien sehr wenig von den gemeinen Feldern verschieden, so genau ist die gemeine Natur in den meisten derselben abgeschildert. Er spottet, daß die Urheber solcher Parks sich allerdings sehr gut auf den Salatbau verstehen, aber sehr wenig mit den Grundsätzen der malerischen Gartenkunst bekannt sind. Demgegenüber preist Chambers die Gartenkunst der Chinesen, die es verstünden, ihre Gärten mit einer Fülle von Effekten auszustatten. Die Palette reiche dabei vom reißenden Wasserfall über düstere Grotten und liebliche Naturszenen bis zu greulichen Drachenfiguren, elektrischen Schlägen und künstlichen Platzregen. Ja, man höre in den chinesischen Gärten sogar die Nachahmung des Geheuls wilder Tiere, von Kanonenschüssen oder der Wehklage gemarterter Menschen. 2

Chambers chinesische Gärten sind ein Phantasieprodukt. Ihrem Erfinder kommt es aber gar nicht auf die Realität an, sondern auf den Stimmungsgehalt. In den königlichen Gärten von Kew Gardens kann er ab 1757 seine Vorstellungen ansatzweise verwirklichen. So entsteht ein Sammelsurium von exotischen Bauwerken, das Nachbildungen der Alhambra, einer Moschee, einer gotischen Kathedrale oder einer chinesischen Pagode enthält. Der Ausbau von Kew Gardens durch Chambers erfolgt im Auftrag des Earl of Bute, der als Erzieher des unmündigen Thronfolgers der faktische Regent des Landes ist. Der Park bildet sozusagen das gärtnerische Gegenstück zum literarischen Illusionstheater des Ossian, der zur selben Zeit unter dem Patronat des Earl of Bute in einer Prunkausgabe erscheint. Die angeblichen Gesänge des Barden Ossian aus grauer keltischer Vorzeit sind ebenfalls eine reine Erfindung. Im Unterschied zu Chambers phantastischen chinesischen Gärten werden sie jedoch von fast allen ernst genommen und halten die gesamte gebildete Welt zum Narren.

Aus der neuen Ästhetik des Pittoresken entsteht schließlich sogar eine Ästhetik des Häßlichen. Sir Uvedale Price entwickelt sie in seinem Essay on the Picturesque, der 1794 erscheint. Ein anderer Gartentheoretiker, William Gilpin, vertritt die Auffassung, daß eine palladianische Villa erst dann zu malerischer Wirkung gelange, wenn man sie mit dem Hammer bearbeite und in eine Ruine verwandele.

Repräsentativ für die Praxis des pittoresken Stils sind die Gärten, die ab den achtziger Jahren nach den Entwürfen von Humphrey Repton (1752 - 1818) entstehen. Repton vertritt die Spätphase des englischen Gartens in ähnlicher Weise wie Brown die klassische. Nach gründlicher Besichtigung eines Anwesens pflegt er seine Vorstellungen über die Umgestaltung in einem Buch niederzulegen, das Darstellungen des alten und des neuen Zustands enthält und in rotes Leder gebunden ist (red books). Er arbeitet mit dem Architekten John Nash zusammen, der für Georg IV. den "Royal Pavilion" in Brighton als pittoreskes Märchen aus Tausendundeiner Nacht errichtet. Repton bringt die Villa durch Terrassen und andere architektonische Elemente wieder auf Distanz zum Rasen. Der Garten bleibt zwar grundsätzlich irregulär, doch dringen auch hier, als Bestandteil des pittoresken Konzepts, geometrische Elemente in Form von Sondergärten ein. Repton bereitet damit den gardenesken Mischstil Loudons (1783 - 1843) vor, der den einheitlichen Raum des Parks zum totalen Eklektizismus auflöst und so die ursprüngliche sensualistische Konzeption vollends verläßt.

Als Theoretiker unterhöhlt Repton die Konzeption vom Garten als moralischer Anstalt, die am Anfang des englischen Gartens stand. Schon Diderot hat hinter Shaftesburys Gleichklang von Natur, Schönheit und Tugend die utilitaristische These von der Schönheit des Nützlichen gewittert. Repton begnügt sich vorläufig damit, das Nützliche vom Schönen zu trennen. Er zieht einen klaren Trennstrich zwischen Illusion und Realität. Zum Beispiel macht er detaillierte Vorschläge, wie sich Fabriken und andere störende Elemente beim Ausblick aus dem Park verbergen lassen könnten.

Die Begründer des englischen Gartens glaubten dagegen noch, das Angenehme mit dem Nützlichen vereinbaren zu können. So mischen sich in der Garten-Phantasie Addisons Bäume, Bachgeplätscher und Vogelgezwitscher ganz zwanglos mit den langen Reihen meiner Kraut- und Kohlköpfe. Der Gärtner Stephen Switzer (1682 - 1745) nannte die Verbindung des Angenehmen mit dem Nützlichen sogar als erste Aufgabe der Gartenkunst. Noch Whateley begeisterte sich für die ornamented farm, bei der landwirtschaftliches Gut und Umgebung eine einzige Parklandschaft bilden. Den bekanntesten Versuch zur Verwirklichung unternahm der Dichter William Shenstone auf seinem Gut Leasowes.

Repton wies solche Einbeziehung der Landwirtschaft in die Landschaftsgärtnerei entschieden zurück. Die "ornamented farm" sei ein Widerspruch in sich, weil Schmückendes und Profit nun mal unvereinbar seien. Es müsse ein Unterschied zwischen dem Gut eines Pächters, der aus jedem Stück seines Landes Nutzen ziehen muß, und dem gemacht werden, das einem gentleman zu Zwecken des Zeitvertreibs oder des Experiments gehört.

Die "ornamented farm" war zugleich die Vision einer harmonischen Gesellschaft, in der Nützliches und Schönes, Arbeit und Muße, Privat- und Gemeinnutz in ähnlicher Weise ineinander übergehen und eine Einheit bilden wie das ländliche Gut mit seiner Umgebung. Repton räumt mit solchen Illusionen der bürgerlichen Frühzeit nun endgültig auf:

In diesem Land werden, hoffe ich, für immer verschiedene Klassen und Stände der Gesellschaft existieren, welche meist vom Anteil des von verschiedenen Individuen entweder ererbten oder erworbenen Eigentums abhängen müssen; und so lange wie solche Unterschiede bestehen, wird es angemessen sein, daß der Sitz eines jeden durch solch unterschiedliche Charaktere ausgezeichnet werden, daß sie nicht leicht mißzuverstehen sind (...) Rang und Wohlstand sind in England keine Verbrechen; im Gegenteil wir erwarten, einen merklichen Unterschied im Stil, im Aufzug und in der Wohnung wohlhabender Individuen zu sehen; und dieser Unterschied muß sich auch auf das Gelände in der Nachbarschaft ihrer Wohnungen erstrecken; denn Übereinstimmung des Stils und Einheit des Charakters gehören zu den ersten Prinzipien des guten Geschmacks. 3

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