PresseBLICK-Rezensionen Politik, Zeitgeschehen



Hubert Weinzierl

Das grüne Gewissen - Selbstverständnis und Strategien des Naturschutzes

Stuttgart und Wien 1993: Weitbrecht Verlag in K. Thienemanns Verlag, 221 S., DM 32.-


Hubert Weinzierl ist seit 1983 der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz e.V. (BUND), der sich mit über 200 000 Mitgliedern rühmen kann, die größte deutsche Umweltschutzorganisation zu sein. Dieser Umstand sichert dem vorliegenden Buch von vornherein eine gewisse Beachtung. Man wird kaum fehl gehen, wenn man das, was Weinzierl hier als seine persönliche Meinung vorträgt, zugleich als den Versuch begreift, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner der den BUND tragenden Kräfte zu formulieren.

Weinzierl beginnt mit einer Rückschau auf den Umweltgipfel von Rio, dessen bescheidene Ergebnisse in Gefahr seien, durch die gegenwärtige Rezession noch mehr von der politischen Tagesordnung verdrängt zu werden. Nach wie vor lägen Welten zwischen den "Egozentrikern, Geschäftemachern und Wachstumsgläubigen" auf der einen und den "Warnern, Ratlosen, Hoffnungssuchenden" auf der anderen Seite. Der "verführerische Begriff der Nachhaltigkeit" werde derzeit nur "als Zauberformel für nachhaltiges Wachstum mißbraucht" , um "unsere morbide Wachstumsphilosophie aufrechtzuerhalten".

Ein Blick in die Geschichte der Umweltschutzbewegung verhelfe indessen zu der tröstlichen Erkenntnis, daß die "politische Keimruhe" großer Ideen oft sehr lange dauere. Nachdrücklich plädiert Weinzierl für das "Prinzip Hoffnung" . Er setzt auf die Macht der "Emotion, der rechten Gehirnhälfte also, die über zwei Jahrhunderte hinweg von der Arroganz der Ratio verdrängt worden ist". Er ist überzeugt davon, "daß wir in einer Zeit leben, in der alte Wertstrukturen und Denkweisen auslaufen". Erforderlich sei eine "Philosophie des Lebendigen". Als Kronzeugen werden unter anderen Ludwig Klages, Wilhelm Heinrich Riehl, Ernst Haeckel und Ernst Rudorff aufgerufen. Auch der religiös gefärbte Kulturpessimismus des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr ("Verlust der Mitte") wird wieder entdeckt. Als Autoritäten neueren Datums dienen Konrad Lorenz, Al Gore oder der Club of Rome.

Die gegenwärtige Umweltpolitik erschöpft sich für Weinzierl in notdürftigen "Reparaturen" einer grundsätzlich verfehlten Wirtschafts- und Wachstumspolitik. Er meint, "daß Wirtschaftspolitik und Umweltpolitik einen Pakt geschlossen haben, der eine Änderung unseres Denkens und Handelns ausschließt". Einen typischen Vertreter solcher oberflächlichen Umwelt-Kosmetik sieht er in dem Schweizer "Marktwirtschaftsguru" Stephan Schmidheiny.

Dagegen verstehen die Umweltschützer unter Nachhaltigkeit eine klare Absage an Wirtschaftswachstum. Sie "setzen der Diktatur des Geldes einfach die Demokratie der Werte entgegen". Sie wissen, daß unser Wohlstandsmodell "nicht der Exportartikel für den Rest der Welt" sein kann, weil das zu katastrophalen ökologischen Folgen führen würde. Sie wollen "Nullvarianten" in allen Bereichen einfordern, vom Straßenbau über die Müllverbrennung bis zum Chemikalieneinsatz. Sie wollen das Bruttosozialprodukt als "dümmlichste aller Währungen" und als "pathologische Werteperversion entlarven".

"Alte Feindbilder verblassen"

Angesichts des Ausmaßes der Umweltgefährdung sieht Weinzierl "alte Feindbilder und Rechts- oder Links-Schemata verblassen und Grenzzäune fallen". Einem Umweltverband wie dem BUND komme dabei eine höchst politische, in keinem Fall aber parteipolitische Rolle zu, denn "die Zukunft- und Überlebensfragen der Menschheit sind ungeeignet für kleinkariertes Parteiengezänk". Wie diese ökologische Phalanx von rechts bis links aussehen könnte, demonstriert Weinzierl auf diskrete Weise, indem er als "Zeitzeugen" gewissermaßen paritätisch Günther Rohrmoser und Günther Altner mit ausführlichen Zitaten zu Worte kommen läßt - zwei Hochschullehrer also, von denen man bisher annehmen konnte, daß sie nicht viel mehr als der gemeinsame Vorname verbindet...

Weinzierl hält ferner den "Abschied vom männlichen Denken" für erforderlich, um der "männlichen Macht- und Machbarkeitsphilosophie" das Wasser abzugraben. Er hofft sogar auf eine "moralische Revolution" mit der Rückkehr von Religiosität und Spiritualität. Denn "eine Generation wie die unsere, die ohne Mystik auszukommen glaubt, hat keine Zukunft." Aber das werde sich spätestens dann ändern, wenn es der reichen Menschheit schlechtergehe - und wahrscheinlich werde dies schon bald der Fall sein.

In der Raffung wirkt das alles noch ein bißchen grobschlächtiger, als es die ohnehin schon holzschnittartigen Ausführungen Weinzierls sind. Die bekenntnishafte, erbauliche Tonlage des Buches könnte einem Franz Alt abgelauscht sein.

Als Verbandspolitiker und Vertreter einer Massenorganisation kann Weinzierl mit seinem Umwelt-Brevier aber wohl zufrieden sein. Ein Ghostwriter hätte die ökologischen Facetten des Zeitgeistes nicht besser kompilieren und austarieren können. Und auch für den kritischen Leser ist das Buch nützlich, weil er hier ohne aufwendige Detail-Studien eine Art Katechismus des Vorsitzenden der größten Umweltorganisation Deutschlands vorfindet.

(PB 12/93/*leu)