PresseBLICK-Rezensionen Erneuerbare Energien



Dieter Beste, Marion Kälke (Hg.)

Erneuerbare Energien - Warum wir sie dringend brauchen, aber kaum nutzen

192 S., DM 24.80, VDI-Verlag 1996 (Vertrieb erfolgt jetzt durch den Springer-Verlag)


Die deutschen Stromversorger geben derzeit jährlich rund 900 Millionen Mark für erneuerbare
Energien aus. Davon entfallen rund neunzig Prozent auf den Bau und Betrieb von rentablen Anlagen, das heißt vor allem auf Wasserkraftwerke. Rund 90 Millionen Mark werden in Forschungs- und Demonstrationsobjekte gesteckt, die Strom aus Sonnenlicht, Wind oder Biomasse erzeugen und von der Rentabilität weit entfernt sind.

Dennoch wird den Stromversorgern immer wieder unterstellt, sie wollten die regenerativen Energien eher verhindern als fördern. "Daß dies ihrem Ansehen schadet, kann nicht übersehen werden", konstatiert Werner Hlubek von RWE Energie in dem vorliegenden Sammelband.

Es scheint, als würde den Stromversorgern gerade das hohe Ansehen zum Verhängnis, das sie sich als Unternehmen der öffentlichen Versorgung erworben haben: Von einem x-beliebigen Unternehmen würde niemand erwarten, daß es eine bestimmte Technologie ohne Rücksicht auf Verluste fördert. Den EVU wird es aber sofort verübelt, wenn sie betriebswirtschaftlich argumentieren.

Eine besondere Zuspitzung erfährt dieser Konflikt durch die Deregulierung: Just in dem Moment, da national wie international die Türen zum Wettbewerb geöffnet werden, sehen sich die EVU dem Ansinnen ausgesetzt, diverse Arten der Stromerzeugung zu alimentieren, die auf längere Sicht nicht rentabel sein können und deshalb ihre Wettbewerbsfähigkeit belasten. Das Stromeinspeisungsgesetz hat diese Erwartung politisch fixiert. Daß parallel dazu die Liberalisierung des Energiemarktes betrieben wird, gehört zu den schon alltäglichen Ungereimtheiten der Politik.

Deshalb war es eine gute Idee, daß der VDI-Verlag, der mit seinen Publikationen einer sachlich-nüchternen Sichtweise verpflichtet ist, dieses umstrittene Thema aufgriff. Die neue Buchreihe "Fakten" wurde erst im vorigen Jahr gestartet, um das Verlagsprogramm, das traditionell auf ein Fachpublikum zielt, für einen größeren Leserkreis attraktiv zu machen. Die Konzeption einschließlich der Auswahl von Themen und Autoren übertrug man einem einschlägig versierten Redaktionsbüro. Die Inhaber dieses Redaktionsbüros zeichnen als Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes wie auch der gesamten Reihe, in der bisher außerdem die Themen "Wasser - der bedrohte Lebensstoff" und "Bildung im Netz" aufgegriffen wurden.

Ob und wie die Reihe "Fakten" fortgeführt wird, steht noch dahin: Mit Jahresbeginn überließ der VDI-Verlag sein ganzes Fach- und Sachbuchprogramm dem Springer-Verlag, mit dem er auch einen gemeinsamen Fachverlag für technische Zeitschriften gegründet hat. Die Bücher mit dem VDI-Signet kommen jetzt also aus dem Heidelberger Wissenschaftsverlag.

Wuppertal-Institut und Greenpeace plädieren für möglichst kostendeckende Einspeisevergütung

Im großen und ganzen haben die beiden Herausgeber eine gute Auswahl getroffen, um das kontroverse Thema in allgemein verständlicher Weise darzustellen. Das Buch enthält insgesamt zwölf Beiträge, die es auch dem Laien ermöglichen, sich ein begründetes Urteil über die tatsächlichen Einsatzchancen der erneuerbaren Energien zu bilden. Das gilt vor allem für eine Studie von Martin Kaltschmitt und Andreas Wiese, die detailliert die Potentiale der einzelnen Energiearten und deren mögliche Nutzung untersucht. Mit 78 Seiten übertrifft sie deutlich den Umfang der sonstigen Beiträge, der sich zwischen vier und 16 Seiten bewegt. Sie ist am Ende des Buches plaziert und bildet so gewissermaßen das Schlußwort zu diesem Sammelband, dessen Autoren zum Teil unterschiedlicher bis gegensätzlicher Meinung sind.

Den Anfang machen Manfred Fischedieck und Peter Hennicke vom Wuppertal-Institut, indem sie für eine "nachhaltige Energiespar- und Solarenergiewirtschaft" plädieren. Das technische Potential der Erneuerbaren in Deutschland sei etwa doppelt so groß wie der Stromverbrauch. Das wesentliche Hemmnis für eine verstärkte Nutzung liege vor allem in den vergleichsweise hohen Kosten. Deshalb brauche man ein langfristiges, flächendeckenes Förder- und Markteinführungskonzept. Ein besonders wichtiges Instrument sei dabei die gesetzlich vorgeschriebene Einspeisevergütung bis hin zur kostendeckenden Vergütung.

Noch pointierter äußert sich Sven Teske, der bei der Umweltorgansiation Greenpeace als "Energie-Campaigner" tätig ist: Seiner Meinung nach muß das Stromeinspeisungsgesetz "das Rückgrat beim Aufbau einer regenerativen Stromversorgung" bilden. Es sei "absurd", vom Staat zu erwarten, daß er die Subventionierung der regenerativen Energien aus Steuergeldern direkt übernehme - einmal wegen der "chronisch leeren Haushaltskassen", zum anderen aber auch, weil dadurch "eine Sonderabgabenregelung analog zum Kohlepfennig entstehen" würde. Dagegen dürfe man vom Staat sehr wohl erwarten, daß er die Energieversorger zur Räson bringe, die "zur Durchsetzung ihrer Geschäftsinteressen nicht davor zurückschrecken, Gesetze des Bundestags vorsätzlich zu brechen". So wie dies die bayerische Landesregierung getan habe: "Per einstweiliger Verfügung und unter Verhängung eines Bußgelds in Höhe von 20 000 Mark verpflichtete das bayerische Wirtschaftsministerium das Badenwerk, die Zahlungen unverzüglich wieder aufzunehmen."

Der Greenpeace-Experte scheint das Kohlepfennig-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gründlich mißverstanden zu haben. Ob er ebenso die Zuständigkeitsbereiche der Landesregierungen in Süddeutschland verwechselt? Oder handelt es sich um einen Schreibfehler?

VDEW macht auf die Nachteile des Stromeinspeisungsgesetzes aufmerksam

Die Antwort auf das Greenpeace-Plädoyer gibt der Hauptgeschäftsführer der "Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke", Joachim Grawe: Er verweist darauf, daß die Energieversorger durchaus auch auf die erneuerbaren Energien setzen und einiges zu deren Förderung unternehmen. Die Zwangssubventionierung über das Stromeinspeisungsgesetz sei jedoch der falsche Weg: Das Gesetz beruhe auf dem "Gießkannen"-Prinzip, bewirke eine Subventionsmentalität, löse Mitnahmeeffekte aus, belaste die Stromverbraucher zugunsten von Abschreibungsgesellschaften, benachteilige deutsche EVU im europäischen Wettbewerb und sei nach Überzeugung namhafter Juristen verfassungswidrig. Die Zwangssubventionierung über den Strompreis belaste ferner Familien mit Kindern oder Rentner mit ihrem spezifisch höheren Stromverbrauch stärker als berufstätige Paare. Es sei deshalb auch sozial gerechter, die erneuerbaren Energien aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu subventionieren, zu dem alle Bürger nach ihrer Leistungsfähigkeit beitragen.

Grawe hebt ferner hervor, daß der hoch vergütete Solar- und Windstrom nicht den Wert des normalen Stroms hat, weil Solaranlagen und Windkraftanlagen nur dann produzieren, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Er könne daher konventionelle Kraftwerkskapazitäten nicht ersetzen. Sein Wert beschränke sich im wesentlichen auf die vermiedenen Brennstoffkosten. Diese lägen im Bereich von 2,5 bis 5 Pfennig pro Kilowattstunde, wenn man die Vollkosten der Stromerzeugung zugrundelege, die in bestehenden Kernkraftwerken mit 9 bis 11 Pfennig pro Kilowattstunde und bei Kohlekraftwerken mit 11 bis 13 Pfennig zu veranschlagen seien.

RWE Energie warnt vor illusionären Erwartungen

Ähnlich äußert sich Werner Hlubek, der im Vorstand der RWE Energie für die Kraftwerke und im Vorstand der RWE-Holding für Forschung und Entwicklung zuständig ist: Ohne Zweifel werde man in Zukunft einen wachsenden Teil des Energiebedarfs durch die Nutzung von Sonne, Wind, Wasser und Biomasse decken müssen. Die Wasserkraft sei bislang die ergiebigste und rentabelste aller erneuerbaren Energien und werde es auf längere Sicht auch bleiben. Leider sei aber ihr weiterer Ausbau in Deutschland kaum noch möglich. ´

Als zweitgünstigste Form der regenerativen Stromerzeugung nennt Hlubek die Windenergie: Aus heutiger Sicht erscheine es realistisch, daß sie bis zum Jahr 2005 zwei Prozent der Stromerzeugung bestreiten könne. Im deutschen Küstenbereich koste derzeit die Kilowattstunde 15 bis 20 Pfennig, im Binnenland 20 bis 50 Pfennig. Der Windstrom sei damit je nach Standort drei- bis fünfmal teurer als konventionelle Stromproduktion.

Der Windstrom ist aber noch immer vergleichsweise günstig, wenn man ihn mit Strom aus Solarzellen vergleicht, dessen Gestehungskosten pro Kilowattstunde von Hlubek mit 80 Pfennig (Südeuropa) bis zwei Mark (Deutschland) beziffert werden. Ähnlich wie bei der Windenergie sei die zeitliche Verfügbarkeit der Solarenergie schon allein durch den Tag-Nacht-Wechsel sowie die jahreszeitlichen Unterschiede stark eingeschränkt.Hinzu komme die geringe Energiedichte der Sonnenstrahlung, die bei großtechnischer Nutzung hohe Investitionskosten erfordert. - Da RWE Energie selbst etliche Photovoltaik-Anlagen unterschiedlicher Art betreibt, kann Hlubek hier aus eigenen Erfahrungen berichten. Insgesamt hält er es für eine Illusion, daß die Stromversorgung eines Industrielandes mittelfristig allein auf der Grundlage erneuerbarer Energieträger bereitgestellt werden könne. "Wer dies behauptet, handelt unverantwortlich, weil Erwartungshaltungen geweckt werden, die auf absehbare Zeit unerfüllbar sind."

Die übrigen Autoren des Bandes widmen sich einzelnen Aspekten der erneuerbaren Energien und deren Nutzung, wobei sie gelegentlich bestimmte energiepolitische Präferenzen und branchenspezifische Interessen nicht verhehlen können, sich im wesentlichen aber doch auf unumstrittene Sachverhalte beschränken: Joachim Bennemann und Renate Piesker-Spahn von der Firma Pilkington Solar umreißen die "Perspektiven der Photovoltaik und ihrer Anwendungsgebiete". Iver Lauermann vom Institut für angewandte Photovoltaik GmbH beschreibt die "neuere Entwicklung in der Photovoltaik" von der Dünnschichtzelle bis zur Graetzel-Zelle. Jürgen Garche vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg und Peter Harnisch von der Akku Gesellschaft KG beleuchten die Möglichkeiten zur Energiespeicherung bei Photovoltaikanlagen. Heinz Bartels vom Forschungszentrum Jülich schildert das dortige "Phoebus"-Projekt, mit dem die Speicherung photovoltaisch erzeugter Energie mittels Elektrolyse und ihre Rückverwandlung zu Strom mittels Brennstoffzellen erprobt wird. Karsten Voss, Volker Wittwer und Joachim Luther vom Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme legen dar, wie "Solares Bauen - Technologien für die Gebäude von morgen" aussehen könnte. Michael Mende von der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig schreibt über die Reaktivierung alter Wasserkraftwerke. Ernst Huenges vom GeoForschungszentrum in Potsdam gibt einen informativen Überblick zum Stand der Geothermie in Deutschland.

Konkrete Angaben zu technischen Potentialen und Nutzungsmöglichkeiten der Erneuerbaren

Den Abschluß bildet dann, wie schon erwähnt, die umfangreiche Studie zu den "Perspektiven regenerativer Energien aus Sicht der Wissenschaft", die Martin Kaltschmitt vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung an der Universität Stuttgart gemeinsam mit Andreas Wiese von der Lahmeyer International GmbH verfaßt hat. Sie enthält konkrete Angaben zu Potentialen und Nutzungsmöglichkeiten der jeweiligen regenerativen Energieträger in Deutschland, wobei die technischen Potentiale jeweils auf kleinen Karten nochmals gesondert für die einzelnen Bundesländer dargestellt werden. Neben Wasserkraft, Windenergie und Photovoltaik werden auch die solarthermische Wärmegewinnung, die Nutzbarmachung der Umgebungswärme durch Wärmepumpen sowie die verschiedenen Möglichkeiten von Geothermie und Biomasse berücksichtigt.

Windstrom kostet 7 bis 30 Pfennig je kWh

Hier einige Zahlen: Für die Wasserkraft errechnen die Autoren ein technisches Potential von etwa 24,7 Terawattstunden jährlich, das aber bereits zu 75 Prozent ausgeschöpft werde. Bei der Windenergie kommen sie auf 14 bis 84 Terawattstunden - je nach dem Aufwand, der für die netzverträgliche Einspeisung dieser intermittierenden Stromquelle getrieben wird. Das wären 3,3 bis 19,6 Prozent des gegenwärtigen Endenergieverbrauchs an Strom.

Sehr unterschiedliche Werte ermitteln sie auch für die Gestehungskosten von Windstrom, wobei der wichtigste Parameter die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten sind: In sehr günstigen Lagen (6,6 Meter pro Sekunde) ist er bereits für 7 bis 14 Pfennig pro Kilowattstunde zu haben. Weht der Wind aber "nur" mit einer mittleren Geschwindigkeit von 4,5 Metern pro Sekunde, klettern die Kosten der Kilowattstunde auf 16 bis 30 Pfennig.

Extrem schwankende Angaben zur Photovoltaik

Noch weiter liegen die Zahlen zur Photovoltaik auseinander: Die technischen Endenergiepotentiale für Deutschland schwanken hier je nach Solarzellentechnologie, Speichermöglichkeiten sowie den Anforderungen an die Stabilität von Spannung und Frequenz im Netz zwischen 19 und 386 Terawattstunden jährlich. Das sind 4,4 bis 90 Prozent des tatsächlichen Strombedarfs - freilich eine rein hypothetische Rechnung, die ohne Rücksicht auf Kosten und Erntefaktoren gemacht wird. In der Praxis würde sie keinesfalls aufgehen: Derzeit braucht eine Photovoltaik-Anlage allein vier bis acht Jahre, ehe sie die Energiemenge produziert hat, die für ihre Herstellung benötigt wurde. Als Stromgestehungskosten ermitteln die Autoren für dachmontierte Anlagen mit multikristallinen Zellen 1,60 bis 2 DM pro Kilowattstunde.

Auf Seite 131 sind - vermutlich Schreibfehler - aus Mikrometern etliche Male Millimeter geworden, wodurch die Dicken von Solarzellen und ihrer Schichten tausendmal stärker erscheinen, als sie es tatsächlich sind. Aber sonst wird man die hier genannten Zahlen gut gebrauchen können, um die oft illusionären Erwartungen an die kurz- und mittelfristige Leistungsfähigkeit der erneuerbaren Energiequellen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Zu Recht sprechen die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort von einem "Zahlenberg, den jede zukünftige Diskussion um die erneuerbaren Energien in Deutschland wird berücksichtigen müssen".

(PB 1/97/*leu)