PresseBLICK-Rezensionen Energie und Umwelt



Politische Ökologie Nr. 61

Wechselstrom - Anleitung für eine neue Energiepolitik

74 S., DM 19.80, ISBN 3-928244-49-3


Vor vier Jahren hat sich die Zeitschrift "Politische Ökologie" bereits einmal mit der Energieversorgung als Schwerpunktthema befasst (PB 2/95). Zu den Autoren gehörte damals der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, der sich für einen gesetzlich verfügten Ausstieg aus der Kernenergie stark machte.

Obwohl Schröder inzwischen zum Bundeskanzler avancierte, sind Zeitpunkt und Form des angepeilten Ausstiegs nach wie vor ungeklärt. Ansonsten hat sich aber die Energielandschaft in einer Weise verändert, die man ohne Übertreibung als dramatisch bezeichnen darf. Der kalte Wind des Wettbewerbs fegt auch durch alle Ritzen im Gedankengebäude "Energiewende", dessen Bewohner sich sehr warm anziehen müssen, wenn sie weiterhin Ökologie und Ökonomie unter einen Hut bringen wollen.

Der Titel "Wechselstrom" soll wohl diesen Umschwung zum Ausdruck bringen, nachdem das letzte Energie-Heft mit "Vorsicht Hochspannung. Energiewirtschaft im Umbruch" überschrieben worden war. Im übrigen versucht aber auch dieses Heft unverdrossen, "Anleitung für eine neue Energiepolitik" zu sein.

Rechnet sich das "Einsparkraftwerk" wirklich noch?

Wie schwierig das ist, offenbart unfreiwillig der Beitrag von Dieter Seifried über die Errichtung eines "Einsparkraftwerks" an der Freiburger Staudinger-Gesamtschule. Auf den ersten Blick ein Erfolgsbericht: Ist es doch gelungen, die Strom-, Wärme- und Wasserrechnung der Schule von jährlich über einer halben Million Mark um 115 000 Mark zu senken. Die notwendigen Investitionskosten von 550 000 Mark brachten rund hundert private Kapitalgeber auf, die sich ihren finanziellen Einsatz "von der Stadt Freiburg mit der Überschreibung der eingesparten Energiekosten über einen Zeitraum von acht Jahren bezahlen" lassen.

Ob das wirklich "eine Kapitalanlage mit guter Rendite" ist, wie Seifried meint, scheint inzwischen allerdings doch sehr fraglich zu sein. Als das Öko-Institut dieses Projekt entwickelte, war der Preisverfall für Strom vielleicht noch kein Thema. Aber als ihm der Freiburger Gemeinderat im Dezember 1998 zustimmte, rangelten die Freiburger Stadtwerke schon seit Monaten mit der Energie Baden-Württemberg um den Ausstieg aus ihrem bis 2014 gültigen Liefervertrag und um günstigeren Strombezug aus der Schweiz. Die alte Kalkulationsgrundlage für das "Einsparkraftwerk" kann also mittlerweile gar nicht mehr stimmen. Es ist schon seltsam, daß Seifried auf einen derart naheliegenden Einwand nicht eingeht.

Auch "Ökostrom" kann problematisch sein

Tragfähiger scheinen Überlegungen, die neuen Bedingungen des liberalisierten Marktes zu nutzen, um Strom aus erneuerbaren Energien als "Ökostrom" zu vermarkten. Der informativste Beitrag des Hefts zu diesem Thema stammt von Stephan Kohler und Michael Kralemann, die zugleich eine Übersicht der regional und bundesweit tätigen Ökostrom-Anbieter vermitteln. Die Autoren machen sich freilich keine Illusionen über die Begrenzung solcher Angebote auf ein "kleines Marktsegment der ökologisch sensiblen Verbraucher". Die Nachfrage nach Strom aus erneuerbaren Energiequellen liege sogar bei weitem unter den tatsächlich erzeugten Mengen, die aus bestehenden Anlagen ins öffentliche Netz eingespeist werden. Ihrer Meinung nach bedarf es deshalb gesetzlicher Rahmenbedingungen wie des Stromeinspeisungsgesetzes, um den erneuerbaren Energiequellen eine breitere Markteinführung zu sichern.

Aber auch die Erschließung erneuerbarer Energiequellen kann ökologisch bedenklich sein. Darauf verweisen Jürgen Meyerhoff und Ulrich Petschoff in einem mit "Kurzschluss" betitelten Artikel, der vor der weiteren Verbauung von Fließgewässern durch Wasserkraftwerke warnt. Da sich für die Stromversorger der Bau von neuen Wasserkraftwerken ohnehin nicht mehr rechnet (es sei denn, sie könnten die so erzeugte Energie als hochpreisigen Ökostrom vermarkten), geht die Stoßrichtung dieses Artikels eigentlich gegen das Stromeinspeisungsgesetz, soweit es den Bau und den Betrieb von Kleinwasserkraftanlagen fördert.

Ökologisch problemloser scheint die Geothermie zu sein. Wie Werner Bußmann schreibt, könnte Erdwärme 29 Prozent des Wärmebedarfs der Bundesrepublik decken und auch zur Stromerzeugung beitragen. Bei aller Sachkunde lässt Bußmanns Artikel allerdings eine präzise Darlegung der Vor- und Nachteile vermissen. So beschränkt er sich auf die vage Feststellung, dass das mit EU-Mitteln geförderte "Hot-Dry-Rock"-Verfahren nun "seine Praxistauglichkeit beweisen" müsse. - Konkret geht es hier doch wohl hauptsächlich um die Frage, wie lange bei diesem Verfahren die wirtschaftlich nutzbare Wärmelieferung der Bohrung anhält. Hot-Dry-Rock-Kraftwerke sind ihrer Natur nach "Wanderkraftwerke", die wegen der allmählichen Abkühlung der angezapften Gesteinsschichten irgendwann an einen anderen Standort verlegt werden müssen. Seltsamerweise wird dieser wichtige Umstand in vielen geothermischen Publikationen gar nicht erwähnt.

Fritz Vahrenholt packt dagegen den Stier bei den Hörnern, wenn er vorrechnet, dass der Anteil der Photovoltaik an der deutschen Stromerzeugung gerade mal ca. 0,4 Promille beträgt und deshalb sogar bei einem angenommenen Wachstum von jährlich 30 Prozent im Jahre 2010 erst bei ca. 1,3 Promille angelangt wäre. Braunkohle, Steinkohle und Kernenergie seien deshalb auch in den nächsten dreißig Jahren unentbehrlich, um die Stromversorgung, vor allem im Grundlastbereich, sicherzustellen. Diese illusionslose Sicht der Dinge hindert den ehemaligen Hamburger Umweltsenator indessen nicht, mit Nachdruck die Entwicklung der erneuerbaren Energien zu fordern. Über kurz oder lang müßten diese für die Menschheit zur dominierenden Energiequelle werden. Davon sei auch die Shell AG überzeugt, in deren Vorstand er neuerdings für die Bereiche Chemie, erneuerbare Energien, Öffentlichkeitsarbeit und Umweltfragen zuständig ist. Vahrenholt garniert seinen Artikel mit einem Shell-Szenario, das den Beitrag der fossilen Brennstoffe und der Kernenergie zum Weltenergieverbrauch bis zum Jahr 2060 deutlich zurückgehen sieht, während der Anteil der erneuerbaren Energien stark zunimmt und sogar den Großteil bestreitet. Skeptikern gibt er zu bedenken, dass es auch erst 75 Jahre her sei, als man das Benzin noch aus der Apotheke holen musste ...

Kritik an der einseitigen Festlegung auf die Technologie des Leichtwasser-Reaktors

Der wahrscheinlich gedankenreichste unter den insgesamt etwa zwanzig Autorenbeiträgen dieses Energie-Heftes stammt von dem Technikhistoriker Joachim Radkau. Seine Quintessenz lautet: Nicht die Gesellschaft hat die Energiesysteme verändert, sondern die Energiesysteme die Gesellschaft. Dennoch setzen sich neue Energiesysteme nicht im Selbstlauf durch. Es bedarf der Politik, um etablierte Strukturen zu überwinden.

Radkau stützt sich bei solchen Einsichten auf die Geschichte der Kernenergie in Deutschland, die er so intensiv erforscht hat wie vermutlich kein anderer Historiker (siehe die Rezension der RWE-Jubiläumsschrift in PB 5/98). Die ursprüngliche "Vielfalt möglicher Handlungsoptionen" habe sich hier auf nur eine Technologie verengt, nachdem der Staat die zunächst widerstrebende Energiewirtschaft massiv unter Druck gesetzt und zum Einstieg in die Kernenergie gedrängt hatte. Die einseitige Festlegung auf den Leichtwasser-Reaktor habe aber sicher nicht in der Intention der Politiker gelegen. Sie bleibe "bis heute das Werk der Energiewirtschaft". Die Entwicklung der Kerntechnik habe so "schon frühzeitig ein eigentümliches Element der Starrheit besessen". Im Ausblenden der Alternativen zum Leichtwasser-Reaktor habe stets "ein stillschweigender Konsens zwischen Führern und Gegnern der Kerntechnik bestanden".

Inzwischen ist es wohl endgültig zu spät, um noch über verpasste Chancen wie den von Rudolf Schulten entwickelten Hochtemperaturreaktor nachzusinnen (PB 2/92). Dennoch sieht Radkau in der seit Jahren tobenden Auseinandersetzung um die Kernenergie die wohl "größte und fruchtbarste Kontroverse in der neuesten deutschen Geschichte". Mit ihren erfolgreichen Attacken auf den Schnellen Brüter, die Wiederaufarbeitung und die überzogenen Pläne zum Ausbau der Kernenergie hätten die Kernkraftgegner sogar "die Arbeit der Energiewirtschaft getan, nämlich sie vor sehr verlustreichen Geschäften und vor dem Ausbau von Überkapazitäten bewahrt". Heute sehe er allerdings die Gefahr, dass die Öko-Bewegung sich allzusehr auf den Ausstieg aus der Kernenergie fixiere und ihr diese Forderung "Ersatz wird für ein breiter angelegtes Umweltprogramm".

Zum Schluß des redaktionellen Teils dieser Ausgabe der "Politischen Ökologie" findet der Leser eine Auflistung von 16 "Energischen Zeitschriften". Das Spektrum reicht von Publikationen wie "anti atom aktuell" und "Solarzeitalter" bis hin zu den STROMTHEMEN und dem PresseBLICK der IZE.

Zwölf Seiten Bauchpinselei

Weniger ausgewogen sind die folgenden zwölf Seiten, die offenbar vom Verband Regenerative Energiewirtschaft (VREW) gekauft wurden, um sich einmal gründlich selber bauchpinseln zu können. Das Ganze nennt sich "Thema Special" bzw. "VREW im Dialog" und ist trotz der etwas anderen Farbgebung der Seiten ganz im Stil eines redaktionellen Beitrags gehalten. Man findet hier solche Geistesblitze wie die Forderung nach einem "Grundrecht auf regenerative Energieumwandlung". Klappern gehört zum Geschäft. Wie sich mit wenig Substanz große Resonanz in den Medien erzielen lässt, haben die VREW-Mitglieder S.A.G. Solarstrom AG und WRE AG schon mehrfach vorgemacht. Auch die anderen fünf VREW-Mitglieder scheinen mit der Propagierung von "Ökostrom" eher kommerzielle als ideelle Zielsetzungen zu verfolgen. Das soll beileibe kein Vorwurf sein. Schließlich gibt es nichts Schöneres, als wenn sich kommerzieller Nutzen ganz zwanglos mit der Förderung der Erneuerbaren Energien verbinden lässt. Es ist aber noch kein hinreichender Grund dafür, dass eine in Umweltkreisen renommierte Zeitschrift wie die "Politische Ökologie" die Trennlinie zwischen redaktionell verantworteten Autorenbeiträgen und kommerzieller Werbung derart verwischt.

(PB September 1999/*leu)