PresseBLICK-Rezensionen Energie und Umwelt



H. Leser, B. Streit, H.-D. Haas, J. Huber-Fröhli, T. Mosimann, R. Paesler

Diercke Wörterbuch Ökologie und Umwelt : Band 1, A - M / Band 2, N - Z

München/Braunschweig 1993: Deutscher Taschenbuchverlag und Westermann Schulbuchverlag (dtv 3419), 233 bzw. 241 S., je Band DM 14.90


KATALYSE e.V.

Das Umweltlexikon

Köln 1993: Kiepenheuer & Witsch, 842 S., DM 49.80


Beide Nachschlagewerke behandeln das Thema Ökologie und Umwelt. Das eine bezeichnet sich als Wörterbuch, das andere als Lexikon. Deshalb greifen wir zunächst zu einem anderen Nachschlagewerk, um uns den Unterschied zwischen einem Wörterbuch und einem Lexikon erläutern zu lassen: "Das Wörterbuch gibt Sprachinformationen, während das Lexikon Sachinformationen bietet", heißt es da. Und weiter: "Die Trennung der beiden Typen von Nachschlagewerken wird aber nicht immer konsequent eingehalten."

So auch hier: Obwohl die Diercke-Herausgeber Wert auf die Feststellung legen, daß ihr Werk "ein Stichwörterbuch und kein Lexikon" sei, dienen beide Nachschlagewerke vor allem der Sachinformation. Die gegenwärtige Umweltdiskussion ist voller Schlagworte, deren genauere Bedeutung oft unklar bleibt oder es tatsächlich ist. Wer qualifiziert mitreden will, greift da gern auf kompetente Ratgeber zurück. Ein reines Wörterbuch nach Art eines Öko-Duden tut es aber sicher nicht. Ob Wörterbuch oder Lexikon - der Leser erwartet in jedem Fall zunächst einmal Sachinformation. Die feineren Unterschiede zwischen Wörterbuch und Lexikon interessieren ihn dabei so wenig, wie wenn er statt Äpfeln oder Birnen einfach nur frisches Obst haben möchte. Hauptsache, der Apfel ist ohne Wurm und die Birne weist keine Matschflecken auf.

Erhebliche Unterschiede und Mängel bei der Auswahl der Stichwörter

Versetzen wir uns deshalb in die Situation eines unentschlossenen Käufers, der in der Buchhandlung beide Nachschlagewerke vorfindet und probeweise jene Schlagworte der umweltpolitischen Diskussion aufblättert, die ihm gerade in den Sinn kommen. Etwa "Elektrosmog". Hier erwartet ihn die erste Überraschung: Das Diercke-Wörterbuch ignoriert diesen Begriff einfach. Und zwar nicht etwa deshalb, weil es ihn für unwissenschaftlich hält oder den entsprechenden Verweis zum Stichwort "Elektrische und magnetische Felder" vergessen hat, sondern weil die ganze Problematik der möglichen biologischen Wirkungen von Feldern überhaupt nicht vorkommt.

Vergebens bleibt auch die Suche nach weiteren umweltrelevanten Stichwörtern im Kontext mit der Elektrizität. Außer dem "Elektrofilter" - einer gewiß sehr nützlichen Vorrichtung - ist nichts zu finden. Es scheint, als sei der elektrische Strom weder in positiver noch in negativer Hinsicht von Bedeutung für Ökologie und Umwelt.

Schlägt der Leser dagegen das Katalyse-Lexikon auf, springen ihm gleich 14 Stichwörter auf acht Seiten entgegen: Elektrisch heizen, Elektrizität, Elektroauto, Elektrodialyse, Elektrofahrzeug, Elektrofilter, Elektroklima, Elektromagnetische Strahlung, Elektron, Elektronenstrahlung, Elektronikindustrie, Elektronikschrott, Elektrosmog und Elektrospeicherheizung.

Beim Thema Energie scheint der Diercke mit 31 Stichwörtern zunächst die Nase vorn zu haben. Die Katalyse-Autoren beschränken sich auf 17 Stichwörter. Dieser Vorsprung ist aber eher numerischer Art und wird schnell relativiert durch den Umfang der Begriffserklärungen, die beim Diercke gerade zwei Seiten, bei Katalyse jedoch über neun Seiten beanspruchen.

Vor allem fehlen im Diercke wichtige Stichwörter zur Energietechnik, die aus der Diskussion über Umweltfragen nicht wegzudenken sind. So wird die umweltfreundliche Technologie des "Brennwertkessels" nur von den Katalyse-Autoren erläutert. Gleiches gilt für den "Stirlingmotor", der neuerdings ein Comeback erlebt. Nur im Katalyse-Lexikon findet man auch Stichwörter wie "Energieagentur", "Energiebeauftragte" und "Energiedienstleistung" .

Überraschenderweise fehlt dann aber der Begriff "nachhaltige Entwicklung" bzw. "sustainable development" in beiden Nachschlagewerken, obwohl er in der Umweltdiskussion zentrale Bedeutung erlangt hat und spätestens seit der Konferenz von Rio in aller Munde ist. Hier kann der Diercke Pluspunkte verbuchen und zumindest mit dem aus der Land- und Forstwirtschaft bekannten Begriff der "Nachhaltigkeit" aufwarten, der - wie es in sehr vager Anspielung auf "sustainable development" heißt - auch "in der Sicherung der Ressourcen zunehmend eine Rolle spielt".

Der Diercke ist insofern tatsächlich eher ein Wörterbuch, als er etwa 10 000 Stichwörter auf 474 Seiten enthält. Das Katalyse-Institut beschränkt sich dagegen auf etwa 2 400 Stichwörter, die 848 Seiten füllen. Sein Umweltlexikon weist zwar nur knapp ein Viertel soviel Stichwörter auf, ist dafür aber bei den Begriffserklärungen gut fünfmal so ausführlich.

Die sechs Diercke-Autoren wollen in erster Linie den Wortschatz der Ökologie als Wissenschaft ausbreiten. Man merkt, daß sie Biologen, Geologen, Botaniker oder Geographen sind. Mit spitzen Fingern unterscheiden sie beim Stichwort "Ökologie" zwei Bedeutungsinhalte: den einer reinen "Wissenschaft" und den einer "unscharfen Sammelbezeichnung in Öffentlichkeit und Massenmedien für jene Interessensbereiche, die sich mit der Umwelt oder dem Zusammenhang Mensch-Umwelt beschäftigen". Die zweite Bedeutung und ihr Vokabular scheinen ihnen fast schon suspekt zu sein. Von den Reiz- und Schlagwörtern der aktuellen umweltpolitischen Diskussion findet sich jedenfalls wenig. Im übrigen fallen ihre Begriffserklärungen nicht nur kurz, sondern auch recht spröde und akademisch aus.

Die 70 Autoren des Katalyse-Lexikons vertreten das genaue Gegenteil: Sie greifen sich gerade die Reiz- und Schlagwörter der umweltpolitischen Diskussion heraus. Die dazu gebotene Sachinformation ist fast immer anschaulich, praxisnah und kompetent, zwischendurch aber auch recht einseitig und parteilich. Nach dem freimütigen Bekenntnis der Herausgeber geht sie oft "weit über die eigentliche Begriffsdefinition hinaus und sprengt damit den Rahmen herkömmlicher Lexika".

So wird zum Stichwort "Elektrospeicherheizung" unter anderem ausgeführt: "E. gehört zu den ökologisch und wirtschaftlich schlechtesten Heizungssystemen. Das Düsseldorfer Landgericht entschied Anfang 1990, daß das RWE nicht länger mit der Behauptung werben dürfe, E. seien umweltfreundlich und sparsam im Energieverbrauch."

Solche volkserzieherischen Dreingaben wird man im Diercke-Wörterbuch weder finden noch vermissen. Woran es diesem Nachschlagewerk jedoch eindeutig mangelt, sind viele wichtige Stichwörter der gegenwärtigen umweltpolitischen Diskussion. Bei einem Wörterbuch, das auf den Thesaurus und dessen Vollständigkeit zielt, ist das besonders enttäuschend. Mag sein, daß im akademischen Elfenbeinturm ein anderes Vokabular gepflegt wird. Dennoch werden viele Leser kaum verstehen, wie ein Umwelt-Wörterbuch, das sich als Taschenbuch an ein breites Publikum wendet, an ihrem praktischen Informationsbedürfnis derart vorbeigehen kann.

(PB Juli 1994/*leu)