PresseBLICK-Rezensionen Stromwirtschaft



Ralph Kremp

Durchleitungsentgelte in der liberalisierten Elektrizitätswirtschaft

135 S., ISBN 3-928433-89-X, DM 55.-, Öko-Institut Freiburg 1999


Etwas jüngeren Datums als die oben besprochene EWI-Studie ist diese Diplomarbeit eines Absolventen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen. Sie berücksichtigt bereits den Stand der Dinge, wie er sich im Frühjahr 1998 darbot. Speziell befaßt sie sich mit der ersten Verbändevereinbarung zur Berechnung von Durchleitungsentgelten, über die sich Stromversorger und Industrie damals verständigten, um eine andernfalls erforderliche gesetzliche Regelung überflüssig zu machen. Diese Verbändevereinbarung sollte von vornherein nur bis Ende September 1999 Gültigkeit haben, um dann im Lichte der bisherigen Erfahrungen revidiert zu werden. An der Neufassung wird derzeit gearbeitet. Über Einzelheiten hüllen sich die Beteiligten noch in Schweigen. Grundsätzlich scheint aber festzustehen, daß gegenüber der ersten Vereinbarung die Transaktionskosten sinken und die Durchleitung wesentlich praktikabler gemacht wird.

Plädoyer für Netzzugangsverordnung

Damit würde zugleich der Kritik, die der Verfasser dieser Diplomarbeit an der bisherigen Verbändevereinbarung übt, die Spitze genommen. Er wirft ihr nämlich vor, wegen uneinheitlicher Kostenbewertung, mangelnder Rechtsbindung und theoretischen Mängeln kein geeignetes Modell zur Durchleitungspreisbildung zu sein. Ersatzweise schlägt er eine Netzzugangsverordnung vor, die neben entfernungsunabhängigen "Briefmarkentarifen" die Einführung einer Stromhandelsbörse und Empfehlungen für eine transparente Kostenkalkulation umfaßt.

Sein Plädoyer für die Ablösung der freiwilligen Verbändevereinbarung durch eine Netzzugangsverordnung gefiel dem Öko-Institut so gut, daß es die Diplomarbeit als Band Nr. 115 seiner "Werkstattreihe" herausbrachte. In der Öko-Szene war die Verbändevereinbarung von Anfang an kritisiert worden, weil sie - so der Hauptvorwurf - die Durchleitung von Strom aus erneuerbaren Energien an private Verbraucher durch hohe Kosten und umständliches Verfahren extrem behindere.

Eine sachkundige und gründliche Studie zur Problematik der Durchleitungs-Entgelte

Wie schon gesagt, dürfte es in Kürze schwieriger werden, derartige Kritik zu begründen und nach dem Gesetzgeber zu rufen, damit er die Lücke fülle, die das neue Energierecht bewußt zunächst einmal der freiwilligen Vereinbarung überlassen möchte. In dieser Hinsicht könnte die vorliegende Diplomarbeit bald obsolet sein. Was jedoch bleibt, ist eine recht sachkundige und gründliche Studie zum Problem der Ermittlung von Durchleitungs-Entgelten unter technischen und wirtschaftlichen Aspekten.

Der Verfasser beschreibt zunächst auf zwölf Seiten die Struktur der deutschen Elektrizitätswirtschaft in technisch-physikalischer, ökonomischer und rechtlicher Hinsicht. Es folgen jeweils dreißig Seiten zur Funktionsweise des Wettbewerbs in der Elektrizitätswirtschaft und zur grundsätzlichen Bestimmung von Durchleitungsentgelten. Zum Schluß diskutiert er verschiedene theoretische Modelle der Durchleitungs-Preisbildung und wirft einen Blick auf die entsprechenden Regelungen in Norwegen und England. Die für Deutschland gewählte Durchleitungsregelung kontrastiert er dabei mit dem alternativen Modell einer Netzzugangsverordnung, wie sie im Vorfeld der Verbändevereinbarung von einigen SPD-regierten Bundesländern unterstützt wurde und im wesentlichen auf einem Durchleitungsmodell des Energieforum Berlin e. V. basierte.

Die Arbeit vermittelt einen vorzüglichen Überblick aller Faktoren, die im liberalisierten Strommarkt bei der Ermittlung von Durchleitungsentgelten eine Rolle spielen. Man merkt ihr inzwischen aber an, daß sie zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurde, als es noch keine praktischen Erfahrungen mit der tatsächlichen Entwicklung des Wettbewerbs gab. So glaubte der Verfasser damals noch, daß es wegen der kapitalmäßigen und personellen Verflechtungen zwischen den großen EVU "sicherlich sehr fraglich" sei, ob diese "sofort in einen harten Konkurrenzkampf einsteigen". - Wie sehr man sich doch irren kann!

(PB Juni 1999/*leu)