ENERGIE-CHRONIK

 


 

 

Die monatlichen Ausgaben des PresseBLICKs (links) wurden am Ende des Jahres zusammengefaßt und durch ein Stichwort-Register erschlossen (rechts). Ungefähr zwei Drittel des Textes bestanden aus kurzen Meldungen zu den wichtigsten stromwirtschaftlichen Ereignissen des vergangenen Monats. Der Rest waren Buchbesprechungen.

 

Vom PresseBLICK zur ENERGIE-CHRONIK

von Udo Leuschner

 

Man wird der ENERGIE-CHRONIK sicherlich nicht nachsagen können, im Solde der Energiewirtschaft zu stehen. Ursprünglich war das allerdings so, denn dieses Informationsangebot entwickelte sich aus einer Publikation der deutschen Elektrizitätswirtschaft.

"PresseBLICK" hieß diese Publikation, die seit Anfang 1990 monatlich von der "Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft" (IZE) an Führungskräfte der Branche verschickt wurde. Sie enthielt in knapper Form eine Rückschau auf die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Monats inklusive ihrer Darstellung in der Presse. Als ich im Sommer 1991 bei der IZE anfing, wurde mir unter anderem die Redaktion dieses Druckerzeugnisses übertragen.

Die IZE war eine seit 1972 bestehende PR-Einrichtung der deutschen Stromwirtschaft, die wie die damalige "Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke" (VDEW) von den deutschen Stromversorgern getragen wurde und im selben Gebäudekomplex an der Frankfurter Stresemannallee untergebracht war. Den größten Teil ihres beträchtlichen Etats gab sie für Werbung, Imagekampagnen, Events und ähnliches PR-Getöse aus. Daneben produzierte sie aber auch ein paar nützliche Dinge: An erster Stelle wäre hier die Zeitschrift StromTHEMEN zu nennen, die Monat für Monat in verständlicher Sprache, aber fachlich korrekt, aktuelle Themen der Stromwirtschaft behandelte. Weite Verbreitung fanden ferner die Hefte der Reihe StromBASISWISSEN, die in loser Folge erschienen, um einzelne Aspekte der Stromerzeugung und der Stromwirtschaft wie "Der Dreh mit dem Drehstrom" ausführlicher darzustellen. Vor allem Lehrer bestellten ganze Klassensätze für den Unterricht.

Im Vergleich mit diesen Publikationen der IZE, die in vierfarbigem Rollenoffsetdruck und mit mindestens fünfstelligen Auflagenziffern per Direktversand und über die Stromversorger kostenlos verbreitet wurden, wirkte der PresseBLICK wie ein Aschenputtel: Ein Konvolut von ungefähr einem Dutzend Seiten, die notdürftig durch Leimung zusammengehalten wurden. Anfangs mußte es sogar eine Heftklammer tun. Es gab keinen Vierfarbdruck, keine Illustrationen, nur Text. Ungefähr zwei Drittel dieses Textes bestanden aus kurzen Meldungen zu den wichtigsten stromwirtschaftlichen Ereignissen des vergangenen Monats. Der Rest waren Buchbesprechungen.

Noch ärmlicher war die Auflage: Ungefähr 800 Stück. Die Herstellung besorgte auch keine Großdruckerei, sondern ein kleiner Laden um die Ecke, für den der monatliche Druck des PresseBLICKs bereits ein Großauftrag gewesen sein dürfte.

Dafür war der Leserkreis recht exklusiv: Der PresseBLICK wurde ausschließlich an die VDEW-Mitgliedsunternehmen verschickt. Regeladresse war der Leiter für Öffentlichkeitsarbeit. Aber auch andere Führungskräfte erhielten ihn, sofern sie interessiert waren. Der PresseBLICK sollte ihnen den Blick dafür schärfen, was momentan in der Stromlandschaft passierte und wie die Medien darauf reagierten. Der Branche saß nämlich seit 1986 der Tschernobyl-Schock in den Knochen. Von der Kernenergie wollte sie zwar noch immer nicht lassen. Aber gerade deshalb war sie sensibler dafür geworden, wie sie von den Medien gesehen wurde, und suchte nach neuen Formen der Öffentlichkeitsarbeit.

Mit dem biederen Rezept "Tue Gutes und rede darüber", mit dem einst der VDEW-Öffentlichkeitsarbeiter Graf Zedtwitz von Arnim den Ruf eines PR-Guru erlangte, war unter den neuen Umständen nicht mehr viel zu holen. Da mußten andere Tausendsassas her. Solche wie Klaus Kocks etwa, der von 1985 bis 1987 als IZE-Geschäftsführer amtierte und nach der Katastrophe von Tschernobyl zugleich für die Hersteller und Betreiber von Kernkraftwerken das PR-Krisenmanagement koordinierte. Oder wie sein Nachfolger Hugo Jung, der den Posten des IZE-Geschäftsführers wirkungsvoll mit der Tätigkeit als Präsident der Deutschen Public-Relations-Gesellschaft (DPRG) zu verbinden wußte.

Im IZE-Jahresbericht 1991 wurde der PresseBLICK im Kapitel "Dienstleistungen für Mitgliedsunternehmen" folgendermaßen vorgestellt:

"Der monatlich erscheinende PresseBLICK richtet sich an die Führungskräfte der EVU und soll zwei Dinge leisten: Zum einen soll er die für die Branche wichtigen Ereignisse und politischen Diskussionen des abgelaufenden Monats noch einmal zusammenfassend darstellen. Zum anderen wollen wir den Leser über die Bewertung dieser Vorgänge in der Presse informieren. Dabei geben wir ganz bewußt auch kritische Stimmen wieder, weil der PresseBLICK frühzeitig auf Veränderungen – oder auch Konstanz – in der veröffentlichten Meinung hinweisen soll."

Als Arbeitsgrundlage dienten die von Großunternehmen der Branche herausgegebenen Pressespiegel und eigene Zeitungslektüre. Bis am Monatsende alle Pressespiegel durchgesehen und die einzelnen Seiten nach Themen sortiert waren, kam so eine Menge Papier zusammen. Anschließend dauerte es etwa eine Woche, bis die Texte erstellt waren. Eine weitere Woche beanspruchten Druck und Versand. Der Nachrichtenüberblick des verflossenen Monats gelangte so frühestens um die Mitte des Folgemonats zu den Empfängern.

Es handelte sich um eine Dienstleistung, die vor allem den mehr als 600 Stadtwerken und 50 Regionalversorgern zugute kam. Diese stellten ungefähr neunzig Prozent der VDEW-Mitglieder. Sie verfügten aber innerhalb des Verbands über weniger Einfluß als die neun "Verbundunternehmen", denen die Großkraftwerke und Transportnetze sowie die meisten Regionalversorger gehörten. Konkurrenz um Kunden konnte es damals zwar noch nicht geben, da die Versorgungsgebiete festgelegt waren. Aber es gab durchaus schon divergierende Interessen. Zum Beispiel hatten die Verbundunternehmen kein sonderliches Interesse an einer Publikation wie dem PresseBLICK. Sie verfügten sowieso über eigene Pressespiegel, die maßgeschneidert ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprachen. Und ihre Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit waren meistens größer als die ganze IZE mit ihren etwa zwanzig Beschäftigten.

Der damalige Leiter der Stabsabteilung Öffentlichkeitsarbeit bei der PreussenElektra, Peter-Carl Rühland, hielt den PresseBLICK sogar für so überflüssig wie einen Kropf. Er brachte das als Mitglied des IZE-Beirats auch wiederholt zum Ausdruck. Sein Ceterum censeo lautete: "Wir haben schon genug Pressespiegel. Wozu noch ein weiteres, ähnliches Produkt, das außerdem kritischen Stimmen übertriebene Bedeutung beimißt?"

Um diesen einflußreichen Nörgler zum Schweigen zu bringen, wurde eine Umfrage unter allen Beziehern des PresseBLICKs durchgeführt und im IZE-Jahresbericht 1994 veröffentlicht. Danach schätzten 97 Prozent der Leser diesen Nachrichtenüberblick. Immerhin 87 Prozent fanden auch die Jahresbände gut, in denen die monatlichen Ausgaben zusammengefaßt und durch ein Stichwort-Register erschlossen wurden. Die Auswertung ergab ferner, daß Führungskräfte von Stadtwerken und Regionalversorgern die Publikation deutlich positiver bewerteten als die der Verbundunternehmen. "Der Grund dafür dürfte sein," – so hieß es wörtlich – "daß die Verbundunternehmen, die eine sehr intensive Beobachtung des energiewirtschaftliche und energiepolitischen Geschehens einschließlich dessen Resonanz in den Medien pflegen, selbst über detaillierte Pressespiegel verfügen." – Damit wurde Rühland dezent vors Schienbein getreten und daran erinnert, daß die große Mehrheit der deutschen Stromversorger eben nicht über das Personal und die Mittel verfügte, um sich großartige Stabsabteilungen für Kommunikation oder auch nur einen eigenen Pressespiegel zu leisten.

So überlebte der PresseBLICK bis zum Ende der IZE, die zum Jahresende 2000 liquidiert wurde, weil eine gemeinschaftliche PR-Einrichtung der Branche nicht mehr zum "liberalisierten" Strommarkt paßte. Die letzte Ausgabe kam im September heraus.

Dem Tod als Druckerzeugnis folgte aber sogleich die Wiederauferstehung als Internet-Angebot. Ich hatte den PresseBLICK nämlich inzwischen als persönliches Archiv schätzen gelernt und wollte ihn auch bei meiner neuen Tätigkeit in der Kommunikationsabteilung des VDEW nicht missen (der Kürzel VDEW war maskulin geworden und stand jetzt für "Verband der Elektrizitätswirtschaft"). Und so führte ich einfach in privater Regie weiter, wofür ich bisher – neben meiner Hauptaufgabe als Redakteur der Reihe StromBASISWISSEN und anderen Tätigkeiten – bezahlt worden war.

Zum Glück hatte ich alle Disketten aufgehoben, auf denen die bisher von mir erstellten Ausgaben gespeichert waren. Die nahm ich nun und wandelte sie in HTML-Text um. Die gedruckten Verweise auf vorangegangene Meldungen zum selben Thema wurden zu Links. Dann lud ich alles auf meine private Internet-Seite hoch. – Schon besaß ich ein persönliches Archiv, das sich wunderbar elektronisch durchsuchen ließ. Und auch die bisherigen PresseBLICK-Bezieher konnten davon profitieren.

Es wäre mir allerdings lieber gewesen, wenn ich die ENERGIE-CHRONIK, wie die Sache nun hieß, während meiner Arbeitszeit hätte fortführen können. Ich bot die Internet-Version deshalb wie sauer Bier meinem Arbeitgeber an. Aber weder der frühere IZE-Chef Hugo Jung, der inzwischen die VDEW-Kommunikationsabteilung leitete, noch der VDEW-Chef Eberhard Meller konnten sich dafür erwärmen. Um sie umzustimmen und die Vorteile eines solchen Informationsangebots zu demonstrieren, ließ ich die ENERGIE-CHRONIK probeweise in den Internet-Auftritt des VDEW unter www.strom.de integrieren, der einen ziemlich kümmerlichen Anblick bot. Der Schuß ging jedoch nach hinten los: Wenn nun jemand ein Suchwort auf der VDEW-Seite eingab, entfielen neun von zehn Treffern auf die ENERGIE-CHRONIK. Das durfte natürlich nicht sein. Die ENERGIE-CHRONIK verschwand deshalb schnell wieder von der Internet-Seite des VDEW.

So nahm ich die ENERGIE-CHRONIK endgültig in meine private Obhut. Auch die bisher von mir erstellten Texte der Reihe StromBASISWISSEN überlebten das Ende der IZE als privates Internet-Angebot, das nunmehr ENERGIE-WISSEN hieß und ebenfalls weiter ausgebaut wurde. Urheberrechtlich gab es keine Probleme: Aufgrund des 1991 geschlossenen Arbeitsvertrags standen dem Arbeitgeber lediglich die Rechte an der drucktechnischen Verbreitung meiner Texte zu. Nicht aber die Internet-Verwertung, an die damals noch keiner dachte.

Eine weitere Zäsur in der Entwicklung der ENERGIE-CHRONIK war mein Eintritt in den Ruhestand zu Beginn des Jahres 2006. Er erfolgte vorzeitig, da der VDEW von Frankfurt nach Berlin umzog, wo er sich mit dem Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft zum "Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft" (BDEW) vereinigte. Die ENERGIE-CHRONIK war damit als Arbeitshilfe überflüssig geworden. Kurze Zeit überlegte ich auch, sie gänzlich einzustellen oder es zumindest bei dem inzwischen erreichten Zeitraum von 15 Jahren zu belassen.

Es gab aber einen großen Anreiz, sie auch jetzt noch weiterzuführen, und dieser überwog am Ende: Als Pensionär erlangte ich die neue Freiheit, wirklich unabhängig von Brancheninteressen schreiben zu können. Und von dieser Freiheit wollte ich am Ende meines Journalistenlebens, das lange genug von Sprachregelungen und Rücksichtnahmen auf Arbeitgeber-Interessen geprägt worden war, endlich mal Gebrauch machen. Hinzu kam, daß man inzwischen keine Pressespiegel oder kostspielige Zeitungs-Abos mehr benötigte, um eine derartige Publikation zu erstellen. Die Recherche per Internet war sogar wesentlich schneller und ergiebiger als das zeitraubende und nun insgesamt vorsintflutlich wirkende Prozedere, mit dem einst der PresseBLICK erstellt wurde.

Deshalb führe ich die ENERGIE-CHRONIK nun auch als Pensionär weiter. Etwas irritiert bin ich nur, wenn ich vom BDEW jeden Monat die bescheidene Betriebsrente in Form einer Gehaltsabrechnung erhalte und wenn mir die BDEW-Chefin Hildegard Müller regelmäßig zum Jahresende eine Karte schickt, auf der sie "weitere gute Zusammenarbeit" wünscht...*

 

* dieser Text wurde im März 2014 publiziert. Zum Jahreswechsel 2015/16 waren die Neujahrsgrüße erstmals neutraler formuliert.