Dezember 2010

101217

ENERGIE-CHRONIK


Oettinger soll anders verstanden werden

"Im Moment ist es unmöglich, Strom aus dem Elsaß über die Grenze nach Baden-Württemberg zu leiten". Diese Behauptung, mit der EU-Kommissar Günther Oettinger in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" (8.11.) die Notwendigkeit des Ausbaues der grenzüberschreitenden Stromverbindungen unterstrich, darf nicht wörtlich verstanden werden. Dies ergibt sich aus einem Schreiben der Generaldirektion Energie, das die ENERGIE-CHRONIK erreichte, nachdem in der November-Ausgabe die Glosse "Was versteht Oettinger eigentlich von Energie-Infrastrukturen?" erschienen war (101104).

Die Abteilungsleiterin Strom und Gas bei der GD Energie, Inge Bernaerts, beantwortete damit nachträglich doch noch die Anfrage der ENERGIE-CHRONIK, wie diese seltsame Äußerung zu verstehen sei. Die Anfrage war bereits am 11. November per E-Mail abgeschickt worden und unbeantwortet geblieben. Die Generaldirektion reagierte erst am 14. Dezember, also mit vier Wochen Verzögerung, nachdem die Glosse erschienen war.

Der Kommissar meinte angeblich den direkten Strombezug von der EDF

Der nunmehr nachgeschobenen Erklärung zufolge wäre der zitierte Satz als Kritik daran zu verstehen, "daß es für individuelle Haushaltskunden nicht möglich ist, Strom direkt im benachbarten Frankreich zu kaufen und ihn über die Grenze nach Deutschland zum eigenen Verbrauch zu transportieren". Der Energiekommissar wäre demnach besorgt gewesen, daß deutsche Haushalte ihren Strom noch immer nicht direkt von der EDF beziehen können. Er hätte also mitten in einem technischen Begründungszusammenhang ein ganz anderes Thema angesprochen und dafür auch noch eine mißverständliche Formulierung verwendet.

Das klingt allerdings nicht sehr überzeugend, wenn man sich den Kontext des Interviews vor Augen führt:

FR: Reichen die bestehenden Netze, um die Versorgung in den nächsten Jahrzehnten zu sichern?

Oettinger: Sie reichen, um Gas von Ost nach West zu bringen. Aber wir haben kaum Verbindungen in der Gegenrichtung, obwohl osteuropäische Mitgliedstaaten stark bis vollständig von Importen aus Russland abhängen. Wir brauchen weiterhin Verbindungspunkte der Ost-West-Pipelines mit Nord-Südlinien. Auf dem Elektrizitätssektor müssen wir Leitungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bauen – etwa von Spanien nach Frankreich und von dort nach Deutschland. Im Moment ist es unmöglich, Strom aus dem Elsaß über die Grenze nach Baden-Württemberg zu leiten. Unter diesen Bedingungen nützt uns der Strom, den wir in Nordafrika aus Sonnenenergie erzeugen, genauso wenig wie der, den die Windmühlen in der Nordsee liefern. Wir können beides nicht in die Metropolregionen bringen.

Es würde den EU-Kommissar natürlich sehr ehren, falls er sich tatsächlich um die Haushaltskunden in Baden-Württemberg gesorgt hätte, die den ständigen Preiserhöhungen der EnBW hilflos ausgesetzt sind, statt billigeren Strom aus Frankreich zu beziehen. Irgendwie bringt er aber auch da etwas durcheinander, denn die EnBW unterstand bis jetzt der unternehmerischen Führung durch die EDF. Weshalb sollte die EDF ihrer Quasi-Tochter Konkurrenz machen? Auch jetzt, nachdem sie die EnBW verkauft hat, gibt es für sie überhaupt keinen Grund, sich das eigene Geschäft zu vermasseln. – Zu einem Stromliefervertrag gehören eben immer zwei. Davon können etliche Industriekunden ein Lied singen, die dem "Strommarkt mit vier Besatzungszonen" vergebens zu entrinnen versuchten, indem sie bei EDF oder Electrabel anklopften.

Eine "unbeliebte lahme Ente" wurde nach Brüssel abgeschoben

Keine gute Figur macht der EU-Energiekommissar auch in den vertraulichen Berichten der Berliner US-Botschaft, die "Wikileaks" jetzt im Internet veröffentlichte. Oettinger sei deshalb zu dem Posten in Brüssel gelangt, weil die Bundeskanzlerin Angela Merkel eine "unbeliebte lahme Ente von einer wichtigen Bastion der CDU entfernen" wollte, heißt es da. Außerdem habe er sich dadurch empfohlen, daß er ein "schwacher Redner" sei, von dem die Kanzlerin nicht zu befürchten brauche, daß er sie auf der Brüsseler Bühne "überstrahlen" werde.