Juni 2008

080614

ENERGIE-CHRONIK


Auch "Lichtblick" liefert keinen puren Ökostrom

Die weitverbreiteten Illusionen über "Ökostrom" trübte am 10. und 11. Juni die "Financial Times Deutschland" (FTD), indem sie berichtete, daß der Ökostromanbieter "Lichtblick" einen Teil seines Strombedarfs am Spotmarkt der Leipziger Strombörse EEX deckte. Dabei habe ein Lichtblick-Sprecher noch im März auf Anfrage des Blattes versichert, daß sein Unternehmen nicht an der EEX handele.

Dem Zeitungsbericht zufolge hat Lichtblick im Dezember 2006 und ab Oktober 2007 zeitweise knapp 4000 Megawattstunden täglich von der EEX bezogen. Insider würden die eingekaufte Menge im Jahr 2007 auf rund 20 Gigawattstunden schätzen. Das wären rund zwei Prozent der Strommenge, die das Hamburger Unternehmen an seine Kunden abgab. Anfang 2008 habe Lichtblick weiter eingekauft. Das Unternehmen habe die genannten Strommengen zwar nicht bestätigen wollen, aber eingeräumt, im vergangenen Jahr 1,53 Prozent des Stroms an der EEX gehandelt zu haben.

Das Kaufgebaren von Lichtblick habe einen Rechtsstreit mit der EEX ausgelöst. Die Börse fürchte um ihr Image und habe Lichtblick aufgefordert, die Hintergründe der Geschäfte offenzulegen. Lichtblick habe dies abgelehnt. Die Sache sei jetzt beim Verwaltungsgericht Leipzig anhängig (Az.: 5K 414/08).

Käufe am Spotmarkt sollen nur der Vermeidung von Ausgleichsenergie gedient haben

In einer von Lichtblick veröffentlichten Presseerklärung hieß es dagegen, der "Fremdbezug" habe nur 0,5 Prozent des gesamten Stromeinkaufs ausgemacht. Die Käufe am Spotmarkt hätten auch lediglich dazu gedient, einen sonst erforderlichen Bedarf an Ausgleichsenergie zu vermeiden, die von den Netzbetreibern je nach Abweichung der Einspeisung vom tatsächlichen Verbrauch bereitgestellt und berechnet wird. Bei Ausgleichsenergie handele es sich aber "immer um Strom undefinierter Herkunft". So gesehen, habe das Unternehmen tatsächlich "den prognostizierbaren Strombedarf seiner Kunden zu 100 Prozent in regenerativer Qualität" gedeckt. Dennoch werde man künftig Zukäufe am Spotmarkt durch "Einspeisung von zusätzlicher regenerativer Energie zu anderen Stunden ausgleichen".

Der TÜV Nord bestätigte, daß er Lichtblick das Zertifikat für den Einkauf von "grünem Strom" in Kenntnis der Zukäufe erteilt habe: "Für nicht vorhersehbare Überschreitungen der geplanten Stromliefermengen ist es eine branchenübliche Praxis, die Abdeckung des sich tatsächlich einstellenden Bedarfs auf Kundenseite gegebenenfalls auch durch Zukauf von Strom sicherzustellen, der nicht auf regenerativer Basis erzeugt worden ist. Diese Praxis wird von unserer Seite toleriert, um auch von unserer Seite Kunden und Anbietern faire Preise für 'grünen Strom' zu ermöglichen."

Die konkurrierenden Ökostrom-Anbieter Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und Greenpeace Energy widersprachen dagegen der Darstellung, daß die kurzfristige Strombeschaffung zur Vermeidung von Ausgleichsenergie nur mit normalem Strom möglich sei. Sie selber hätten zu diesem Zweck flexible Lieferverträge mit Ökostrom-produzierenden Kraftwerken abgeschlossen, was freilich teurer sei als der Einkauf an der Strombörse.

Lichtblick streitet seit Jahren für die Senkung der Regelenergie-Kosten

Lichtblick ist das wichtigste Unternehmen der Saalfeld-Gruppe, die unlängst ihr Gelände für ein neues Gaskraftwerk am Standort Lubmin an E.ON verkauft hat und weiterhin über die Genehmigung für die Gas-Pipeline "Nordal" verfügt (080303). Nach eigenen Angaben hat der Ökostrom-Anbieter 400.000 Kunden und erzielt einen Jahresumsatz von 200 Millionen Euro.

Bei der jetzigen Enthüllung über die Lichtblick-Käufe an der EEX zur Verminderung der Regelenergie-Kosten handelt es sich möglicherweise um eine "Retourkutsche" aus Branchenkreisen: Der Ökostrom-Vermarkter streitet nämlich seit langem für eine Senkung der Regelenergie-Kosten, die zum einen als Systemdienstleistung in die Netzentgelte eingehen und zum anderen in Form von "Ausgleichsenergie" den Stromlieferanten individuell in Rechnung gestellt werden (siehe hierzu die Erläuterungen). Aufgrund einer Beschwerde von Lichtblick hatte das Bundeskartellamt Im Herbst 2001 gegen vier Verbundnetzbetreiber Verfahren eingeleitet, die im Verdacht standen, ihren Wettbewerbern unangemessene und zum Teil fiktive Kosten für Regelenergie in Rechnung zu stellen (030719). Im April 2008 leitete die Bundesnetzagentur auf Antrag von Lichtblick sowie des Bundesverbands Neuer Energieanbieter (BNE) ein Mißbrauchsverfahren gegen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW ein, weil sie ihre Netzgebiete nach wie vor separat regeln und dadurch mehr Kosten entstehen als bei einer bundesweit einheitlichen Regelung (080408).

Der größte Teil des Lichtblick-Stroms stammt aus österreichischer Wasserkraft

Lichtblick bietet seit Oktober 1999 "sauberen Strom" an (991019). Anfangs gehörte dazu auch Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung. Seit 2003 setzt sich das Angebot aus dem EEG-Anteil des normalen Strom-Mixes und ergänzenden Lieferverträgen für Strom aus regenerativer Erzeugung zusammen (041016). Als derzeitige Lieferanten nennt das Unternehmen im Ausland gelegene Wasserkraftwerke und ein Biomasse-Heizkraftwerk in Sachsen-Anhalt.

Zum größten Teil basiert der von Lichtblick angebotene "Öko-Strom" auf einem Liefervertrag mit dem Wasserkraftwerk Freudenau bei Wien, das in den neunziger Jahren trotz heftiger Proteste von Umweltschützern gegen die weitere Verbauung der Donau errichtet wurde und 1998 den Betrieb aufnahm (laut Lichtblick-Werbung handelt es sich um "eines der modernsten und umweltfreundlichsten Wasserkraftwerke in Europa"). Im damals soeben liberalisierten Strommarkt galt das Wasserkraftwerk Freudenau als Fehlinvestition und mit Stromerzeugungskosten von 9 Cent pro Kilowattstunde als nicht konkurrenzfähig. Die Kraftwerkstochter der österreichischen Verbundgesellschaft nutzte deshalb die Gelegenheit, den Grundlast-Strom aus Freudenau wie auch den aus anderen Laufwasserkraftwerken in Deutschland als "Öko-Strom" zu vermarkten.

"Das eigentliche schmutzige Geheimnis des Ökostroms" liegt woanders

Im Unterschied zum "Etikettenschwindel" mit den sogenannten RECS-Zertifikaten (080102) beruft sich Lichtblick darauf, daß der Ökostrom tatsächlich "physisch geliefert" werde und zur Beschaffung keine RECS-Zertifikate verwendet würden. Faktisch handelt es sich aber auch hier um die Vermarktung von normalen Kraftwerkskapazitäten auf regenerativer Basis, die nicht der EEG-Förderung unterliegen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird durch derartigen Ökostrom schon deshalb nicht vorangetrieben, weil das EEG, der Emissionshandel und andere politische Vorgaben für eine weit umfangreichere Ökostrom-Erzeugung sorgen, als jemals vermarktet werden könnte. Denn den Mehrpreis für vermeintlich "sauberen" Strom und ein reines Umweltgewissen zahlen nur relativ wenige Stromkunden, und die tun das auch nur deshalb, weil ihr Verständnis stromwirtschaftlicher Zusammenhänge eher metaphysisch als physikalisch geprägt ist. Die Aufregung darüber, daß Lichtblick seinem Ökostrom ein Quentchen Börsenstrom beigemischt hat, mutet bei dieser Sachlage eher skurril an. Die "Financial Times Deutschland" (11.6.) räumte dies selber ein und spottete in einem Kommentar: "Das eigentliche schmutzige Geheimnis des Ökostroms ist, daß die Nachfrage der Verbraucher ohnehin wenig Einfluss auf die Strommengen hat, die aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden."

Links (intern)

Hintergrund

 

Regelenergie - Ausgleichsenergie - Verlustenergie

Im Netz der Stromversorgung wird seit jeher Regelenergie benötigt, um kurzfristige Schwankungen des Stromverbrauchs auszugleichen. Hierzu dient ein abgestuftes System aus Primärregelung, Sekundärregelung und Minutenreserve. Bis zur Liberalisierung des Strommarktes gingen die Kosten dieser Regelenergie unmittelbar in die Strompreise der sogenannten Verbundunternehmen mit ein, die in ihren jeweiligen Regelzonen für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Nachfrage und Verbrauch zu sorgen hatten, da Großkraftwerksbetreiber und Transportnetzbetreiber identisch waren.

Im liberalisierten Markt ist dagegen der Netzbetrieb auf allen Ebenen der Stromversorgung ein eigenständiges Geschäft, das zumindest rechnerisch völlig von der Stromerzeugung getrennt werden muß und von der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde beaufsichtigt wird. Nach § 8 StromNZV (Stromnetzzugangsverordnung) haben die Betreiber von Übertragungsnetzen "die Kosten für Primärregelleistung und -arbeit, für die Vorhaltung von Sekundärregelleistung und Minutenreserveleistung sowie weiterer beschaffter und eingesetzter Regelenergieprodukte als eigenständige Systemdienstleistungen den Nutzern der Übertragungsnetze in Rechnung zu stellen". Der § 6 StromNZV verpflichtet sie ferner, ihren Bedarf an Regelenergie nicht einfach weiterhin aus konzerneigenen Kraftwerken zu beziehen, sondern ihn auszuschreiben und an den jeweils günstigsten Anbieter zu vergeben (seltsamerweise sind das bisher dann doch in aller Regel die konzerneigenen Anbieter).

Ausgleichsenergie ist individuell abgerechnete Regelenergie

Bei der Abrechnung der Kosten für Regelenergie wird nach § 8 StromNZV unterschieden zwischen solchen Kostenbestandteilen, die als Systemdienstleistung allgemein in die Netzentgelte eingehen, und solchen, die als "Ausgleichsenergie" individuell den Netznutzern in Rechnung gestellt werden.

Als Systemdienstleistung gelten die komplette Primärregelung sowie die Vorhaltung von Kapazitäten für die Sekundärregelung und die Minutenreserve. Die Primärregelung wird also leistungs- wie arbeitsmäßig erfaßt (weil es einfach zu schwierig wäre, beides trennen zu wollen), während die Sekundärregelung und die Minutenreserve nur nach Höhe der bereitgestellten Leistung in die Netzkosten eingehen.

Als "Ausgleichsenergie" gilt jene Regelenergie, die darüber hinaus erforderlich ist, um die Abweichungen zwischen Einspeisungen und tatsächlichem Verbrauch auszugleichen. Die Ausgleichsenergie bemißt sich also danach, wie lange Sekundärregelung und Minutenreserve tatsächlich benötigt werden, anstatt nur als jederzeit abrufbare Leistung vorgehalten zu werden. Dieser Arbeitspreis wird den Netznutzern in Rechnung gestellt. Er ist naturgemäß umso höher, je mehr positive oder negative Regelenergie der Netzbetreiber aufwenden mußte, um Abweichungen zwischen der Einspeisung der Stromlieferanten und dem tatsächlichen Verbrauch ihrer Kunden auszugleichen.

Die Kosten der Verlustenergie fließen in die Netzentgelte ein

Von der "Ausgleichsenergie" im Sinne der StromNZV zu unterscheiden ist der umfassendere Begriff der "Ausgleichsleistungen", den das Energiewirtschaftsgesetz in § 3 EnWG als solche Dienstleistungen definiert, die zur Bereitstellung von Energie, zur Deckung von Verlusten und für den Ausgleich von Differenzen zwischen Ein- und Ausspeisung benötigt wird. Außer allen Arten der Regelenergie inklusive ihrer kaufmännischen Betrachtungsweise als "Ausgleichsenergie" gehört dazu jene Energie, die für den Ausgleich physikalisch bedingter Netzverluste benötigt wird.

Die Netzbetreiber haben diese "Verlustenergie" nach § 10 StromNZV ähnlich wie die Regelenergie in einem "marktorientierten, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren" zu beschaffen. Die dadurch entstehenden Kosten dürfen sie nach § 10 StromNEV (Stromnetzentgeltverordnung) als Netzkosten in die Netznutzungsentgelte eingehen lassen.

Im Unterschied zur Regelenergie, die nur die Transportnetzbetreiber für ihre jeweiligen Regelzonen benötigen, betreffen die Vorschriften für Verlustenergie grundsätzlich alle Netzbetreiber, denn Netzverluste treten auf allen Spannungsebenen vom Kraftwerk bis zur Steckdose auf. Kleine und mittlere Stromverteiler mit weniger als 100.000 Kunden sind aber von der Pflicht zur Ausschreibung der Verlustenergie und zur Führung eines gesonderten "Bilanzkreises" für die Netzverluste befreit.